Der Sommer des Commisario Ricciardi
dem Kissen auf ihrem Gesicht verteilt worden wie auf einer Malerpalette, das schöne Seidenkleid war zerknittert, ein Strumpf verrutscht. Die letzte Schmach. Der Tod stiftet Unordnung.
Der Duft, der den Raum erfüllte, war derselbe, den er unter dem Brandgeruch im Vorzimmer wahrgenommen hatte: ein blumiges, eher schweres Parfum. Diese Wahl, überlegte der Kommissar, spiegelte die wahre Natur der Herzogin wider, die zwar reich, aber keineswegs vornehmer Herkunft war. Bei den Kleidern konnte man sich von Freundinnen und Boutique-Besitzerinnen beraten lassen, aber ein Parfum war eine zu persönliche Wahl.
Die Anordnung der Gegenstände ließ vermuten, dass die Herzogin ihr Zimmer in Eile verlassen hatte, denn der Toilettentisch war unaufgeräumt und der Kleiderschrank stand halboffen. Concetta, die an der Tür stehen geblieben war, hatte die Gedanken des Kommissars erraten und raunte:
»Sie ließ immer alles stehen und liegen. Schließlich wusste sie, dass wir aufräumen würden. Jetzt allerdings verstört es mich irgendwie, dieses Zimmer zu betreten, ich weiß nicht, warum. Das Vorzimmer macht mir nichts aus,obwohl noch das Blut am Sofa klebt, es geht nicht ab. Aber hier ist es anders.«
Ricciardi gab Maione ein Zeichen, der daraufhin begann, die Kommodenschubladen zu öffnen. In der obersten lag gut sichtbar mitten auf der Wäsche ein Bündel Briefe, die von einem blauen Band zusammengehalten wurden. Der Brigadiere warf einen kurzen Blick darauf und wog sie in der Hand.
»Alle unterschrieben mit ›Dein Mario‹. Die Signora hatte wohl keine Angst, dass sie jemand sehen könnte, was?«
Concetta schien nicht überrascht. Sie zuckte mit den Schultern.
»Wer hätte sie denn sehen sollen? Der Herzog und der junge Herr haben dieses Zimmer nie betreten. Ich kümmere mich um so etwas nicht und Mariuccia kann nicht lesen. Ebenso gut hätte sie die Briefe an die Wand hängen können.«
Ricciardi erkannte die Missbilligung der Frau mehr aus ihren Worten als aus dem Tonfall. Es schien ihm eher Sarkasmus als Groll daraus zu sprechen. Na ja, sicher konnte man nie sein.
»Wenn nicht der Herzog oder sein Sohn, wer dann betrat dieses Zimmer außer der Herzogin?«
Concetta warf einen vielsagenden Blick auf die Briefe in Maiones Hand, dann sagte sie:
»Woher soll ich das wissen, Commissario? Ich gehe jeden Abend um die gleiche Zeit schlafen, wie ich Ihnen bereits sagte. Und die Signora hatte die Schlüssel des Vorhängeschlosses.«
Schon verstanden, dachte Ricciardi. ›Dein Mario‹ hatte Zugang zu diesem Zimmer, ebenso wie zum Herzen der schönen Herzogin.
»In Ordnung. Lassen Sie hier alles noch, wie es ist, bis wir Ihnen etwas anderes sagen. Bitte melden Sie uns jetzt dem Herzog.«
Nach einer schlaflosen Nacht, die beherrscht war vom Gedanken an Ricciardi, der am Fenster vergeblich auf sie gewartet hatte, war Enrica finster und voller Entschlossenheit aufgestanden. Wenn auch ihre Sanftmut und gute Erziehung ihr nicht gestattet hatten, am Vorabend unhöflich zu den Gästen zu sein, so würde sie jetzt jedoch Klartext mit ihren Eltern sprechen und ihnen sagen, dass Sebastiano sie nicht interessierte und dass sie ihnen von jetzt an verbiete, hinter ihrem Rücken Ränke zu schmieden, selbst, wenn es in bester Absicht geschah. Ihre Mutter hatte Enricas Absichten allerdings vorausgesehen und bereits bei Sonnenaufgang das Haus verlassen. Dem Dienstmädchen hatte sie gesagt, sie werde ihre Tante im Kloster besuchen. Auch Giulio war mindestens eine Stunde früher als sonst ins Geschäft gegangen.
Na gut, dachte Enrica. Dann gehe ich eben zu dir, Vater; ich möchte zu gerne wissen, was du mir zu sagen hast.
Trotz allem vergaß sie ihre häuslichen Pflichten nicht, und so kleidete sie sich erst an, nachdem sie gespült, eingekauft und die entsprechenden Anweisungen fürs Mittagessen erteilt hatte. Dann nahm sie ihren Hut und machte sich auf den Weg zum Geschäft in der Via Toledo.
XV Das Zimmer, in dem Matteo Musso Herzog von Camparino gerade seine letzte Schlacht verlor, war inDunkelheit getaucht. Es roch noch Desinfektionsmittel und Verwesung, nach Lauge und abgestandenem Urin, Medizin und Staub. Der Gestank des Todes, dachte Ricciardi.
Als ihre Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten, erkannten die beiden Polizisten eine Silhouette im Bett, von der das rhythmische Röcheln ausging, das sie beim Hereinkommen gehört hatten. Der Herzog schien zu schlafen. Plötzlich jedoch sagte eine heisere Stimme:
»Concetta,
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