Der Sommer des Commisario Ricciardi
mehr. Vielleicht habe ich mit einem Phantom geplaudert. Abgesehen von der Bereitschaft, die ich Ihnen für den Fall eines Gerichtsverfahrens zugesagt habe, was Gott verhüten möge, darf keine dieser Informationen je auf mich zurückgeführt werden; andernfalls kann ich Ihnen für nichts garantieren. Und möchte es auch nicht. Haben wir uns verstanden?«
Ricciardi nickte. Aber Pivani war noch nicht fertig.
»Dem Phantom möchte ich noch eine weitere Kleinigkeit sagen. Ich weiß, dass Sie Bruno Modo, dem Gerichtsmediziner, sehr zugetan sind. Sie tun gut daran, er ist ein tüchtiger Arzt, der niemandem seine Hilfe verweigert, auch ohne Bezahlung. Wenn Sie ihm also helfen wollen, bitten Sie ihn achtzugeben, was er in der Öffentlichkeit sagt, vor allem, wenn er ein Glas zu viel getrunken hat. Es täte mir wirklich sehr leid, wenn ihm etwas zustieße.«
Als Ricciardi ins Präsidium kam, waren schon alle nach Hause gegangen – bis auf Maione, der überaus besorgt auf der Bank vor seinem Büro saß und sich mit dem Hut Luft zufächelte. Sobald er seinen Vorgesetzten erblickte, sprang er auf.
»Commissario, was war denn los bei Ihnen? Wo waren Sie nur die ganze Zeit? Ich hab Camarda losgeschickt, um nachzusehen, ob Sie bei der Herzogsfamilie sind, und ich selbst war bei den Capeces, um zu schauen, ob Sie vielleicht vergessen haben, noch etwas zu fragen. Sogar bei Ihnen zu Hause hab ich angerufen.«
»Entschuldige bitte, ich hab nicht daran gedacht, dassdu hier auf mich wartest; ich hab auch nicht gemerkt, dass es so spät geworden ist. Komm mit ins Büro, dann erzähl ich dir alles.«
Rasch gab er Maione die Informationen, die für ihre Ermittlungen wichtig waren. Doch sagte er nichts von dem Verhältnis der beiden Männer und erwähnte nicht einmal Pivanis Namen – zum einen, weil es den Freund in Gefahr bringen konnte, wenn dieser zu viel wusste, und zum anderen, weil er, aus Anstand und Respekt, die Intensität der Beziehung und des damit verbundenen Leids nicht offenbaren wollte. So erzählte er also dem Brigadiere, dass er am Sitz der Faschistischen Partei gewesen war, da er vorletzte Nacht zufällig Ettore in das Haus hatte hineingehen sehen. Dort habe er dann erfahren, dass der Sohn des Herzogs an einer Anzahl geheimer Unternehmungen beteiligt war und sich, wie man ihm sagte, auch während der Tatnacht in der Parteizentrale befunden hatte.
Maione hörte ihm mit offenem Mund zu. Als Ricciardi fertig war, platzte er los:
»Verzeihen Sie, wenn ich frage, aber was hatten Sie denn vorletzte Nacht draußen zu suchen, als Sie den jungen Herrn zu den Faschisten gehen sahen? Und warum haben Sie mir danach nichts davon gesagt und haben mich mitkommen lassen, diese Leute sind ganz schön gefährlich. Mit wem haben Sie denn bei den Faschisten gesprochen? Die decken sich doch gegenseitig; klar, dass sie ihm gleich ein Alibi verschaffen – genauso gut könnte man den Wasserträger fragen, ob das Wasser frisch ist!«
Ricciardi hob beide Hände.
»Erbarmen! Bestürm mich doch nicht so! Zu allerersteinmal habe ich nicht damit gerechnet, dass es mir gelingt, mit jemandem zu sprechen, ich wollte nur auf einen Sprung dort vorbei, um die Zeit zu nutzen, während du dich umziehen warst. Und vorletzte Nacht konnte ich nicht schlafen, weil es so heiß war. Zu deiner letzten Frage: Ich habe mit jemand Wichtigem gesprochen, dem Ettore, wie’s schien, nicht besonders sympathisch ist. Meiner Meinung nach hat er die Wahrheit gesagt. Die Aussage muss natürlich überprüft werden, versteht sich. Das würde allerdings erklären, warum er uns nicht sagen wollte, wo er war. Aber was soll’s, es ist schon spät, reden wir morgen darüber. Geh nach Hause etwas essen, du musst ja mittlerweile einen Mordshunger haben.«
Maione sah ihn leidend an.
»Sie haben ja keine Ahnung, wie mir der Magen knurrt. Gut, einen schönen Abend dann. Nur eine Bitte noch: Sollten Sie wieder mal vorhaben, sich in Gefahr zu bringen, seien sie doch so gut und geben mir vorher Bescheid.«
Nach dem Abendessen im Wohnzimmer versuchte Enrica nicht hinzusehen, als Sebastiano seine Kaffeetasse zum Mund führte. Gleich am ersten Abend war ihr nämlich etwas Furchtbares aufgefallen: Der Mann hielt den Henkel des Porzellantässchens mit zwei Fingern und spreizte dabei den kleinen Finger ab. Schon das erschien ihr unerträglich. Dann stülpte er auf lächerliche Art die Lippen vor, als wollte er den Rand der Tasse küssen, bevor er das Getränk schließlich
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