Der Sommer des glücklichen Narren
Vortrag über die Jugend von heute halten, aber was soll's denn? Vielleicht ist es ganz gut, wenn die Mädchen ohne Illusionen aufwachsen. Möglicherweise erleichtert es ihnen das Leben.«
»Ich finde es greulich«, sagte Muni entschieden.
Dann fragte sie mich, wann ich ins Waldhaus zurückfahren würde, und ich antwortete: morgen.
Ob sie mitkommen solle?
»Danke, nein«, sagte ich ein wenig nervös. »Ich bin schon lange genug allein draußen, und es macht mir wirklich nichts aus. Außerdem habe ich zu arbeiten.«
Muni gab mir einen langen, besorgten Blick. Sie sah die Falten auf meiner Stirn, die Furchen in meinen Mundwinkeln und die ersten grauen Haare an meinen Schläfen und bestimmt auch den Kummer in meinen Augen.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Kein Grund zu Besorgnis, Muni. Mir geht es großartig.«
»Schön, mein Junge«, erwiderte Muni und lächelte auch.
Aber ihr Lächeln und der Klang ihrer Stimme hätten mich bald zum Weinen gebracht.
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich stand ganz leise wieder auf, rauchte ein paar Zigaretten und setzte mich schließlich hin, um eine Novelle zu schreiben. ›Abschied von der Liebe‹ sollte sie heißen. Sehr schöner Titel. Aber nachdem ich zwei Seiten vollgeschrieben hatte, fand ich das Unternehmen sinnlos und zerriß die Blätter. Wer wollte das schon lesen?
Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Vormittagszug in meine Einsamkeit zurück. Meine Ruhe und meinen Frieden würde ich haben und tun können, was ich wollte. Das hatte ich mir so gedacht. Wie man sich täuschen kann!
Das Waldhaus
Das Waldhaus liegt in einer Gegend, die der liebe Gott in einer seiner gnädigsten Stunden geschaffen hat. So ein Stück Landschaft ist es, daß man sich immer fragt, wieso es eigentlich so viel Schönheit in der Welt geben kann. Muß ich immer lachen, wenn die Leute sich in ihre Benzinkarren setzen oder sich in die volle Eisenbahn quetschen und dann Hunderte von Kilometern weit in ferne Länder fahren. Nach Italien, ins Tessin, an die Côte d'Azur, an die Costa Brava und neuerdings bis nach Afrika, wo ihnen die Sonne das Hirn versengt. Aber sie haben ja keines. Sonst würden sie nicht so weit fahren, um woanders die Schönheit zu suchen, die ihnen der liebe Gott direkt vor die Tür gesetzt hat.
Um in die Gegend zu kommen, wo mein Waldhaus steht, brauche ich von München aus eine knappe Stunde. Und wie soll ich die Gegend beschreiben, wo soll ich die Worte hernehmen, um ihre ganze Schönheit zu schildern? Ich bräuchte viele Seiten dazu, und dann wäre es immer nur noch ein mattes Abziehbild. Außerdem sagt Rosalind immer, meine Natur- und Landschaftsschilderungen seien altmodisch, heutzutage wolle das kein Mensch mehr lesen.
Also darum nur ganz kurz: Das Waldhaus liegt im Voralpenland, da, wo die Gegend sanft gehügelt ist und man die großen Berge nur aus der Ferne sieht. Das nächste Dorf vom Waldhaus aus heißt Unter-Bolching, ein Stückchen weiter ist Ober-Bolching, und noch ein paar Kilometer weiter ist Tanning, die Kleinbahnstation. Dort kommt mein Zug an, nachdem ich in Rosenheim umgestiegen bin oder vom Bahnhof München-Ost aus gleich die Kleinbahnstrecke benütze. Hört sich ein bißchen umständlich an, ist es aber nicht, wenn man die Züge kennt. Von Tanning aus fahre ich mit dem Rad auf schmalen Straßen über Ober-Bolching und Unter-Bolching bis in meine kleine geliebte Welt.
Da fahre ich durch dunkle, schweigende Nadelwälder, durch ein Stück lichten, vogelliedererfüllten Laubwald, über ein paar Hügel zwischen grünen Wiesen entlang, vorbei an einsamen Bauerngehöften, an sanftäugigen Kühen, die mir freundlich nachschauen. Wenn ich durch die Dörfer fahre, grüßen mich die Leute, und ich grüße sie auch. Sie kennen mich. Sie haben sich an mich gewöhnt.
Die Landschaft ist ohne Härte, ohne grandiose Überraschungen, sie ist ein einziges Abbild von Ruhe, Frieden und Schönheit. Sie ist so harmonisch wie eine Symphonie von Mozart, und wenn ich mir je ein Paradies vorstellen könnte, dann müßte es so aussehen wie diese Gegend hier, halbwegs zwischen München und dem Chiemsee. Keine berühmte Gegend, keine Kurorte, keine Namen von Weltruf, aber eine friedliche Einheit zwischen Himmel und Erde, die unerschütterlich erscheint.
Ich bin auch schon den ganzen Weg von München her mit dem Rad gefahren, das ist keine große Sache. Und wenn man ein Auto hat, ist man vollends im Nu heraußen. Die Straße München-Rosenheim, nicht die Autobahn,
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