Der Sommer des glücklichen Narren
Schließlich erzählte ich ihr freiwillig, wie sich das alles am Vormittag und Mittag abgespielt hatte. Sie wollte es nun doch mal gern wissen. Auch einer meiner großen Fehler: Ich bringe es nie fertig, einen Menschen zu enttäuschen. Wenn Rosalind auch zehnmal sagt, daß ich ein Trottel sei und nichts von Frauen verstünde, ich weiß doch immer ziemlich genau, was in einem anderen Menschen vorgeht, auch in einer Frau. Ich bilde mir ein, die Menschen gut zu verstehen. Und darum bilde ich mir auch ein, sie in meinen Büchern sehr lebensecht zu schildern. Aber außer mir ist niemand dieser Meinung.
»Na gut, na schön«, sagte Muni resolut, als ich mit meinem Bericht zu Ende war, »das ist nun endlich mal erledigt. Reisende soll man nicht halten. Es war ein Fehler, Rosalind zu heiraten, das habe ich dir von Anfang an gesagt. Oder etwa nicht?«
»Doch«, mußte ich zugeben, »das hast du gesagt.«
Sie hatte es wirklich gesagt. Damals in der mageren Nachkriegszeit, als ich als halbverhungerter, berufs- und zukunftsloser Gefreiter wieder bei Muni in München untergekrochen war, die durch ein Wunder ihre kleine Wohnung heil durch den Bombenkrieg gebracht hatte, und ihr dann eines Tages Rosalind präsentierte, die ich einem wohlgenährten Ami in letzter Minute weggeschnappt hatte.
Ich war damals, ähnlich wie heute, durch die Stadt geschlendert, gekleidet in eine feldgraue, von Muni zurechtgeschneiderte Joppe, und war dabei vor dem PX in der Brienner Straße vorbeigekommen. Hier standen immer eine Menge Mädchen herum, die auf ihre amerikanischen Freunde warteten.
Etwas abseits stand ein schmales, zierliches Ding mit riesigen dunklen Augen, die ängstlich, wie hypnotisiert auf den Eingang des verlockenden amerikanischen Paradieses gerichtet waren.
Die Kleine fiel mir auf. Ich verlangsamte meinen Schritt, um sie genauer zu betrachten. Das Gesicht war süß, kindlich rein und unberührt erschien es mir, doch dabei von pikantem Reiz. Das schwarzbraune Haar fiel ihr lang und lockig bis auf die Schultern. Sie trug ein kurzes, verwaschenes Leinenkleid in einem verblaßten rosa Ton. Ich sehe das alles noch vor mir, als sei es heute gewesen. Ich ging noch einmal zurück, um sie näher zu betrachten. Sie bemerkte mich gar nicht.
Und plötzlich sagte ich – ich weiß auch nicht, warum, ich hatte zuvor noch nie ein Mädchen auf der Straße angesprochen und seitdem auch nicht mehr: »Das sollten Sie aber nicht tun.«
Sie schaute mich überrascht an. »Was?«
»Na, hier stehen. Und auf einen Ami warten.«
»Aber ich …«
»Das paßt nicht zu Ihnen«, sagte ich streng. Man muß das verstehen. Ich war ein armer, besiegter deutscher Soldat. Ich sah es nun einmal nicht gern, wenn unsere Mädchen mit den Amis herumliefen. Und in diesem Fall störte es mich besonders.
Sie schob trotzig die Unterlippe vor und sagte: »Aber ich habe Hunger.«
»Haben wir alle«, knurrte ich. »Trotzdem sollten Sie das nicht tun.«
Jetzt waren die großen dunklen Augen voll auf mich gerichtet. »Ich habe noch gar nichts getan«, sagte das Mädchen im rosa Kleid. »Ich habe den gestern erst kennengelernt. Und heute habe ich mich mit ihm verabredet. Und nun ist er hierhergegangen, um einzukaufen.«
»Und?«
Sie hob auf eine rührende Weise die zarten Schultern. »Er würde mir was mitbringen, hat er gesagt. Was zu essen und Zigaretten und … und vielleicht auch ein Paar Strümpfe.«
Es klang kindlich.
»Und wie geht's weiter?«
Sie hob wieder die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Aber ich. Denken Sie etwa, der tut das aus reiner Menschenfreundlichkeit? Wenn er Ihnen etwas mitbringt, müssen Sie auch dafür bezahlen. Das wissen Sie doch, oder!«
»Ja«, sagte sie, »das weiß ich.«
»Das sollten Sie aber nicht tun.«
Sie grub ihre weißen kleinen Zähne in die volle Unterlippe und antwortete mir nicht. Eigentlich hätte sie sagen können, daß mich das einen Dreck anginge.
»Da kommt er«, rief sie plötzlich.
In der Tür des PX war so ein großer stämmiger Bursche in strammsitzenden Hosen und mit einem Bürstenkopf aufgetaucht und schaute sich suchend um.
»Los, kommen Sie«, sagte ich, nahm sie an der Hand und rannte los. Sie rannte mit. Wie zwei Kinder, Hand in Hand liefen wir, bis wir um die nächste Ecke waren. Dort blieben wir heftig atmend stehen.
Sie sah mich vorwurfsvoll an. »Na, so was. Jetzt kriege ich nichts.«
»Nein«, sagte ich fröhlich. »Jetzt kriegen Sie nichts. Strümpfe habe ich jedenfalls nicht. Aber
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