Der Sommer des glücklichen Narren
Arm, sonst von Kopf bis Fuß in meinen gestreiften Bademantel gehüllt. Er war wirklich sauber. Ich benützte ihn so gut wie nie.
»Kann ich das irgendwo aufhängen?« fragte sie, auf das Kleid deutend.
»Geben Sie her«, sagte ich, »hinter dem Haus ist eine Leine gespannt.«
»Ich möchte es lieber selber machen.«
Natürlich. Sicher hatte sie unter dem Kleid ein Hemdchen oder ein Höschen oder ähnliches angehabt und wollte nicht, daß mir das in die Hände fiel.
»Bitte sehr«, sagte ich, öffnete die Tür und zeigte ihr die Leine. Trocknen würde das jetzt sowieso nicht mehr. Die Nacht war kühl und feucht.
Und noch etwas wurde mir klar. Das Mädchen kam hier heute nicht mehr weg. Ein Zug fuhr nicht mehr, ein Auto besaß ich nicht. Ich konnte im äußersten Notfall hinaufradeln zum Andreas und ihn bitten, sie nach München zu fahren. Aber wie ich den Andreas kannte, saß er entweder unten im Dorf im Wirtshaus oder er lag im Bett.
Sie mußte hier übernachten.
Das würde noch ein Theater geben. Überhaupt, wenn die Ehefrau nicht auftauchte.
… und einem Besuch endet
Als sie wieder hereinkam, hatte ich zwei Teller auf den Tisch gestellt und holte gerade meine bescheidenen Vorräte aus dem Schrank.
»Wie wär's, wenn wir eine Kleinigkeit essen«, schlug ich vor.
»Ich habe eigentlich keinen Hunger«, sagte sie.
»Aber uneigentlich doch«, erwiderte ich fröhlich. »Außerdem ist Essen ein gutes Mittel gegen seelische Kümmernisse.« Sie schwieg, beugte sich zu Dorian und streichelte ihn.
»Ein schöner Hund«, sagte sie. »Wie heißt er denn?«
»Dorian«, sagte ich. »Oder genauer: Dorian Gray. Eben weil er so schön ist.«
Sie lächelte. »Hoffentlich hat er nicht so einen schlechten Charakter wie Dorian Gray.«
»Nein«, sagte ich, erfreut, daß es ein Mädchen war, das sich in der Literatur auskannte. »Nein. Er ist ja ein Hund. Und kein Mensch.«
»Ja«, sagte sie, »da haben Sie recht.«
Als ich das Abendessen, so schön ich konnte, auf dem Tisch angerichtet hatte, sagte ich: »Bitte greifen Sie zu. Viel ist es nicht, ich war auf Besuch nicht vorbereitet.«
Dann räusperte ich mich verlegen. ›Ich‹ hätte ich nicht sagen dürfen. Aber auf die Dauer konnte ich ihr ja doch nicht länger von einer Ehefrau vorschwindeln.
Es gab hartgekochte Eier, eine Salami, ein Stück Schinken und Käse. Dazu Brot und Butter und eine Flasche Bier für jeden. Wir aßen, ohne viel zu sprechen. Dorian bekam auch sein Teil von beiden. Er nahm es auch von der Fremden, was ich als gutes Zeichen betrachtete, denn das tat er durchaus nicht immer. Er ist sehr wählerisch in dieser Beziehung.
Nach dem Essen schenkte ich noch einmal Himbeergeist in die Gläser und bot ihr eine Zigarette an.
Sie nahm sie, rauchte eine Weile schweigend und blickte abwesend vor sich hin. Ihr Haar war inzwischen getrocknet, und man sah jetzt, daß es blond war. Ein schönes, mattes Aschblond, es war glatt und voll und schimmerte seidig im Licht. Um es noch schöner schimmern zu lassen, holte ich die Kerze in dem alten Zinnleuchter und zündete sie an.
Nun glänzten auch ihre Augen. Ihr Gesicht war ruhig geworden, der feindselige, verschreckte Ausdruck ganz verschwunden.
»Sie werden vielleicht wissen wollen«, sagte sie plötzlich, »wieso es mich da heute an den Waldrand verschlagen hat.«
»Es würde mich natürlich interessieren«, erwiderte ich. »Aber Sie sind keineswegs genötigt, es zu erzählen, wenn Sie nicht wollen.«
»Ich denke, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig.« Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und erzählte dann: »Ich bin heute nachmittag mit meinem … meinem Freund von München weggefahren. Wir wollten einen Ausflug machen, das Wetter war so schön.«
Ich nickte.
»Na, um es kurz zu machen, ich bin mit diesem Mann, na ja, gewissermaßen verlobt. Ist ein altmodischer Ausdruck, man verlobt sich heutzutage nicht mehr. Ich sage bloß so, weil wir eben heiraten wollten.«
»Aha«, sagte ich.
»Ja. Ich … Man hat manchmal das Gefühl, daß man etwas falsch gemacht hat, nicht? Und dann kommt ein letzter kleiner Anlaß, der einen zu einer Entscheidung bringt, nicht?«
»Ja«, bestätigte ich, »das gibt es.«
Sie beugte sich hinab zu Dorian, der zwischen uns lag, und streichelte ihn. Als sie sich wieder aufrichtete, stand Dorian auf, streckte sich, ging zu ihr, legte den Kopf auf ihr Knie und sah sie an.
Sie legte die Hand auf seinen Kopf und fuhr fort: »Sie haben Ihren schönen Dorian,
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