Der Sommer des glücklichen Narren
einen scheußlichen Tag hinter mir, und ich … ich …«
Ich nahm sie beim Arm, führte sie zu meinem bequemsten Sessel, sagte streng: »Setzen Sie sich«, und als sie saß, holte ich die Schnapsflasche, die Gott sei Dank noch halb voll war, stellte sie neben sie auf den Tisch, holte ein Glas, schenkte es voll bis an den Rand und hielt es ihr hin.
»Hier, los, trinken Sie das. Aber denken Sie bitte nicht, ich will Sie besoffen machen, um irgendwelche bösen Absichten zu verwirklichen.«
»Nein. Danke.« Sie schluckte, wischte sich die Tränen von den Wangen, fuhr mit dem Finger über die Nase, nahm dann das Glas und kippte den Schnaps hinunter.
»Bravo. Und nun werde ich schnell Feuer machen.«
»Das ist wirklich nicht nötig. Es ist schließlich Sommer.«
»Aber es hat sich durch das Gewitter ganz schön abgekühlt. Doch warten Sie – ich habe auch einen kleinen elektrischen Heizofen.« Natürlich, ich Dummkopf. Rosalind hatte den vor zwei Jahren gekauft, weil sie abends oft kalte Füße hatte. »Den hat meine Frau gekauft«, fügte ich betont hinzu. »Den stelle ich Ihnen an, und da wird Ihnen wärmer werden! Haben Sie kein Taschentuch?«
»Nein«, rief sie kläglich, und neue Tränen kullerten über ihre Wangen. »Ich hab' ja meine Tasche in dem Wagen von dem Kerl gelassen. Da ist alles drin. Mein Taschentuch, und mein Geld und meine Schlüssel und … und eben alles. Selbst wenn ich zur Eisenbahn gekommen wäre, ich hätte mir ja nicht mal ein Billett kaufen können.« Und die Tränen flossen noch reichlicher.
Dorian betrachtete sie interessiert. Ich ging ins Schlafzimmer, holte ein frisches großes Taschentuch aus dem Schrank und schob es ihr in die Hand.
»Danke«, schluchzte sie.
Dann lief ich hinaus in die Abstellkammer, suchte den elektrischen Ofen, fand ihn auch glücklicherweise gleich, kam zurück, stellte ihn vor ihre Füße, stöpselte den Stecker an, und gleich begann eine sanfte Wärme durchs Zimmer zu wehen.
Dann schenkte ich noch mal Schnaps ein, für mich jetzt auch einen, und wartete, daß sie sich beruhigte.
Das geschah bald. Sie trocknete ihre Tränen, putzte sich energisch die Nase und trank den zweiten Schnaps.
»Ich hätte noch einen Vorschlag zu machen«, begann ich vorsichtig, »aber ich habe Angst, Sie kratzen mir die Augen aus.«
Sie blickte zu mir auf, verheult wie ein kleines Kind.
»Sie müssen einen schrecklichen Eindruck von mir haben, Herr …«
»Schmitt.«
»Herr Schmitt, ja. Aber ich …«
»Zweifellos haben Sie heute etwas erlebt, was Sie verstört hat«, sagte ich mit meiner sanftesten Stimme, »das habe ich jetzt schon begriffen. Wie es scheint, bin ich der Leidtragende. Obwohl ich Ihnen nichts Böses tun will.«
»Das merke ich jetzt schon«, sagte sie leise.
»Vielen Dank. Ich dachte schon, ich müsse wie ein Ungeheuer aussehen.«
Sie blickte mich an und schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht. Was für einen Vorschlag meinen Sie?«
»Ihr Kleid ist naß. Sie können es unmöglich am Körper trocknen lassen. Angenommen, Sie gingen hier nebenan ins Schlafzimmer. Dort hängt ein Bademantel. Angenommen, Sie würden alles ausziehen, was Sie am Körper tragen und den Bademantel anziehen. Er ist sauber. Erst kürzlich gewaschen worden. Meinen Sie nicht, Sie würden sich dann wohler fühlen? Und daß es auch gesünder wäre? Ich schwöre Ihnen, daß ich …«
»Schon gut«, sagte sie leise. »Ich bin albern. Dabei habe ich allen Grund, Ihnen dankbar zu sein.«
»Keine Ursache«, sagte ich und machte wieder eine kleine Verbeugung.
Sie stand auf, ging ins Nebenzimmer, das Licht hatte ich zuvor schon brennen lassen.
»Der Bademantel hängt hinter der Tür«, rief ich ihr nach.
»Danke«, sagte sie. Dann ging die Tür zu.
Ich setzte mich, trank meinen Schnaps und seufzte.
»Schwierig mit den Frauen, nicht«, sagte ich leise zu Dorian. »Die hat doch wirklich Angst vor uns. Wie findest du das? Irgendein Kerl hat ihr heute was getan. Das merkst du ja. Müssen wir ganz vorsichtig mit umgehen.«
Wie sollte ich es bloß erklären, daß die angekündigte Ehefrau nicht kam? Immerhin sah sie, daß im Schlafzimmer zwei Betten standen, schön nebeneinander, wie sich das bei einem ordentlichen Ehepaar gehört. Ich hatte es bis jetzt nicht übers Herz gebracht, das zweite Bett zu entfernen. Warum eigentlich nicht? Rosalind würde doch nicht mehr darin schlafen. Na egal, im Moment war es ganz günstig. Kurz darauf kam sie wieder, ihr nasses Kleid über dem
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