Der Sommer des glücklichen Narren
Eberhard.«
Längere Pause. Dann sagte sie leise: »Neulich, als ich da draußen in den Zug stieg, haben Sie etwas ganz anderes gesagt.«
Ich wußte genau, was ich gesagt hatte. Ich hatte gesagt: Ich wäre froh, wenn Sie sich nicht wieder mit Eberhard versöhnen würden.
Aber so was sagt sich leicht. Jetzt sah ich, daß sie unglücklich war. So leicht legt man einen Mann und eine Liebe nicht beiseite. Da kann man noch so viel davon reden, daß die Frauen heutzutage modern und vernünftig seien und ihr Liebesleben ähnlich großzügig handhaben wie die Männer. Irgendwie geht eben doch immer etwas Unwiederbringliches verloren. Und eigentlich ist es ja auch bei Männern nicht anders. Wenn einer nicht ganz kaltschnäuzig und oberflächlich ist.
Es sah so aus, als würde das ein ganz verkorkster Abend werden. Sie war bedrückt und ich voller Hemmungen. So wie wir zwei uns kennengelernt hatten, da konnte es entweder eine sehr schöne Fortsetzung geben oder gar keine. Das, was wir jetzt machten, zivilisierte Leute, die sich kürzlich kennengelernt hatten und nun ein wenig Konversation machten, das ging hier nicht. Das war deprimierend für uns beide.
Das wurde erst besser, als nach dem Essen der Toni zu uns stieß. Wir waren im Werneckhof gelandet, hatten sogar einen Platz gefunden, manierlich zu Abend gegessen und uns artig dabei ein bißchen unterhalten, ohne viel Begeisterung auf jeder Seite.
Und plötzlich, als ich einmal aufblickte, sah ich den Toni an der Tür stehen. Er sah mich auch gleich.
»Hö«, schrie er über den ganzen Raum weg, »altes Mondkalb! Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst längst in deinem Weiher da draußen ersoffen.«
Er kam, die Hände in den Hosentaschen, auf uns zugeschaukelt, offensichtlich hatte er schon wieder einiges geladen. Unterwegs blieb er noch ein paarmal stehen, begrüßte hier und da die Leute, dann die Wirtin, und dann die Katze von der Wirtin, und dann war er endlich bei unserem Tisch gelandet.
»Mensch, Ado«, sagte er, »alter Hinterwäldler! Wie kommst du denn nach Schwabing? Du wirst dich doch nicht am Ende noch zu einem vernünftigen Menschen entwickeln?« Dann nahm er die Hände aus den Taschen, machte eine formvollendete Verbeugung vor Steffi. »Entzückt, meine Gnädigste, Sie hier zu sehen.«
Ich erhob mich von meinem Sitz, schüttelte Toni die Hand und stellte die beiden dann korrekt einander vor.
»Toni Wylos – Fräulein Bergmann.«
Eigentlich hieß er ja Wlydlozinsky oder so ähnlich; kein Mensch konnte sich den Namen merken oder ihn aussprechen, bekannt war er allgemein als Toni, und seine Arbeiten unterschrieb er mit Wylos, wenn er, Gott behüte, mal was arbeitete, was selten genug vorkam. Er war eins von diesen Schwabinger Originalen, lebte davon, daß er gute Freunde besaß, und war doch im Grunde so etwas, was man Genie nennt. Er selbst war davon überzeugt, seine Freunde auch, aber sonst wußte es niemand, weil er zu faul war, um zu arbeiten. Ein riesengroßes, breites Trumm von einem Mann mit bemerkenswert edlen, durchgebildeten Händen, einem klugen Schädel und einem verluderten Leben. Ursprünglich kam er aus Polen oder irgendwo aus dieser Ecke, lebte aber schon seit einem Menschenalter in München, das heißt in Schwabing, und sprach, wenn er wollte, so geschert bayrisch wie ein Braubursch. Ich konnte mich nicht erinnern, daß in letzter Zeit eine Arbeit von ihm erschienen war. Kein Buch, kein Beitrag in der Zeitung, nichts. Aber erstaunlicherweise sagte jetzt Steffi: »Oh, Herr Wylos. Ich habe schon viel von Ihnen gelesen.«
Toni riß die Augen auf. Er ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und sagte erstaunt: »Aber Kinderl, so alt san S' noch net. Das ist nicht gut möglich.«
»Doch.« Steffi nickte nachdrücklich. »Ich kenne Gedichte von Ihnen und auch ein paar Bücher. Warten Sie!« Sie krauste die Stirn und dachte nach. »›Von den Narren im Reich der Träume‹, nicht wahr? So heißt eines.«
Toni nickte sprachlos.
»Und ein Gedicht von Ihnen hat mir besonders gefallen«, fuhr Steffi fort. »Da, wo es heißt: ›Und dein Weg über die Brücke, die sich morgen nennt, ist ein Weg in den Abgrund, der keinen Boden kennt.‹ Stimmt's?«
Der Toni sah mich an und schüttelte verblüfft den Kopf. »Was sagst?«
Ich war ordentlich stolz auf Steffi. Ich hätte das nicht gewußt.
»Darauf muß ich was trinken«, meinte Toni. Er drehte sich um und winkte der Bedienung. Die nickte nur aus der Ferne. Die wußte, was der Toni für
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