Der Sommer des glücklichen Narren
stundenlang bei uns herum. Erfreulicherweise freundete sie sich auch mit Steffi an. Steffi hatte sich zunächst freundlich, aber abwartend verhalten, und Gwen, die im Grund ja ein warmherziges Kind war, wurde zusehends zutraulicher.
Schon am zweiten Tag nach ihrer Rückkehr kam sie mit Flux an. Sie brachte ihn einfach mit, er bekam eine Box beim Andres, und Steffi erhielt nun jeden Tag Reitstunden. Und zwar von Gwen. Nicht von mir.
»Sie stellt sich gar nicht dumm an«, vertraute mir Gwen an. »Sie ist natürlich schon ein bißchen alt, aber zum Spazierenreiten wird es reichen.«
Ich hütete mich, Steffi das Urteil ihrer Lehrerin allzugenau zu überbringen, sagte ihr nur, daß Gwen sehr zufrieden mit ihren Fortschritten sei. Steffi war sehr stolz, als sie uns zum erstenmal auf einem Ausritt begleiten durfte. Gwen, ganz Verantwortung von Kopf bis Fuß, unterließ jede Raserei und ließ ihre Schülerin nicht aus den Augen.
Und nun, als alles wieder einigermaßen friedlich und wohlgeordnet erschien, kam es zu neuen Schwierigkeiten.
Er hatte es in sich, dieser Sommer, wirklich.
Weitere Einquartierung
Es war mittlerweile Juli geworden und sehr heiß. Man konnte geradezu von einer Hitzewelle sprechen. Bei uns im Wald ließ es sich ertragen. In der Nacht kam immer von den Bergen herüber kühle, frische Luft.
Wir standen schon sehr früh auf und ritten vor dem Frühstück, ehe es zu heiß wurde und die Pferde gar zu sehr von den Fliegen geplagt wurden.
An einem Nachmittag war es besonders heiß und schwül. Die Luft reglos wie aus Blei. Gwen verließ uns am frühen Nachmittag, nachdem sie dreimal gebadet hatte und an unserem leichten sommerlichen Mahl teilgenommen hatte.
»Uff!« stöhnte sie, als sie in die Hosen und Stiefel stieg. »Morgen reite ich im Badeanzug.«
»Daß du mir ja im Schritt nach Hause gehst«, sagte ich. »Keine Hetzerei.«
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Isabel und Flux hatte ich schon zuvor in ihren Stall gebracht. Gegen Abend würde Wastl sie auf die Koppel lassen. Das heißt, vielleicht heute auch nicht. Drüben über den Bergen sah mir der Himmel so komisch aus, so grau und bleiern. Gut möglich, daß es heute noch ein Gewitter gab. Auch die Fliegen waren wie närrisch. Jessica stampfte mit den Füßen und ließ den Schweif wie wild um ihre Kruppe kreisen. Ich brach einen Zweig und stutzte das Laub zurecht.
»Hier, nimm das«, sagte ich zu Gwen. »Und vertreibe ihr das Fliegenzeug ein bißchen, sonst wird sie hysterisch.«
»Tschüs«, sagte Gwen und schwang sich in den Sattel. »Bis morgen.«
Ich sah ihr nach, bis sie im Wald verschwunden war, dann ging ich zu Steffi und Toni, die sich mit Tisch und Stühlen unter die Bäume am Waldrand zurückgezogen hatten. Statt Kaffee gab es heute kaltes Zitronenwasser, für den Toni Bier.
Steffi, in Shorts und mit einem kleinen Blüschen, lag im Liegestuhl und las. Auch ich trug kurze Hosen und sonst nichts. Nur der Toni war in langen Hosen und im Hemd. Weniger bekleidet hatten wir ihn noch nie gesehen.
»Sollte mich nicht wundern, wenn wir heute ein Gewitter kriegen«, sagte ich.
»Mich auch nicht«, erwiderte Steffi und patschte eine Mücke auf ihrem nackten Oberschenkel tot. »Die Biester sind zu unverschämt heute.«
Dann blickte sie zu mir auf und lächelte. »Schön.«
»Was?«
»Wenn es ein Gewitter gäbe.«
Ich lächelte zurück, denn ich wußte, woran sie dachte.
»Möchte wissen, was daran schön sein soll«, knurrte der Toni. »Auf dem Lande sind Gewitter immer gefährlich, habe ich mir sagen lassen.«
»Bei Gewitter passieren manchmal die wunderbarsten Dinge«, sagte Steffi träumerisch.
Toni blickte mißtrauisch zu ihr hin. »Was soll denn da schon Wunderbares passieren?«
»Man trifft manchmal Leute, die …«
»Die?« fragte ich, als Steffi verstummte.
»Die wenn man nicht getroffen hätte, sehr bedauerlich wäre.«
Wir blickten uns zärtlich in die Augen, nur der Toni bemängelte: »Also nehmen S' mir das nicht übel, meine Gnädigste, aber das ist ein schauderhaftes Deutsch, das Sie da von sich geben.«
Steffi runzelte die Stirn und überlegte. »Die nicht getroffen zu haben, einen bedauernswerten Verlust in meinem Leben bedeutet hätte. So besser?«
Toni war immer noch nicht zufrieden. Er schüttelte den Kopf. »Als Verlust kann man nur etwas bezeichnen, was man bereits besessen hat. Etwas, was man gar nicht kennengelernt hat, kann auch kein Verlust sein.«
»Ich geb's auf«, meinte Steffi. »Es ist zu
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