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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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schauerliche Töne, und beschleunigte seine Schritte, um ihre Ursache zu besehen. Er traf auf ein kurioses Schauspiel.
    Vor dem Pranger, um den gewöhnlich alle einen Bogen machten, wenn es nicht gerade galt, einen Sünder mit dampfenden Pferdeäpfeln oder fauligen Zwiebeln zu bewerfen, wurden ein Mann und eine Frau von einer schweigenden Menge umringt. Beide waren sehr jung und in unförmige weiße Gewänder gekleidet, sie hatten die Arme weit ausgebreitet, die des Mannes wurden auf jeder Seite von lumpigen Kindern gestützt. Die Frau, fast ein Mädchen noch, mit dem gleichen fast weißen Haar wie die Kinder, sang mit hoher Stimme einen Choral. Claes konnte nicht erkennen, welcher es war. Ihre Stimme klang dünn und doch schrill, und die Worte blieben unverständlich.
    «Wer sind die?», fragte er einen Schusterjungen, der, auf seine Kiepe mit Ledermustern gestützt, die seltsamen Gestalten aus sicherer Entfernung beobachtete.
    «Wo der Kometenbeschwörer verschwunden ist», sagte der Junge, ohne den Blick von dem Schauspiel zu lassen, «stehen die jetzt da. Sie sind seine Jünger, sagen sie, aber mein Meister sagt, das ist Ketzerei. Nur unser Herr Christus hatte Jünger. Aber er sagt, die stehn hier richtig, weil sie ganz bestimmt bald an den Pranger gekettet werden.»
    «Dann sag deinem Meister», mischte sich eine Vierländerin ein, die den großen runden Strohhut ihrer Tracht schützend über die müden Blumen in ihrem Korb hielt, «das ham sie von unserm Herrn Christus auch gesagt, dass er ein Ketzer ist. Und wenn die» – sie wies mit ihrem Hut in der Hand auf die beiden selbsternannten Jünger des Kometenbeschwörers – «am Pranger enden, dann ist das wie bei unserm Herrn Christus, als sie ihn ans Kreuz schlugen. Amen.»
    «Dein Meister», brummte ein Windradverkäufer, «soll man gut aufpassen, dass ihn der Komet nicht zuerst trifft!»
    Die Turmuhr schlug viermal, und Claes ging weiter. Der Mann mit den hellen Augen und dem langen schwarzen Haar war also verschwunden. Noch so ein Rätsel in diesen Tagen. Er hätte ihn gerne einmal von nahem besehen und herausbekommen, wer er war. Niemand wird als Kometenbeschwörer geboren.
    Die Stadt erschien Claes heute besonders eng. Der Himmel war zwar wieder ein wenig heller, die Hoffnung der Menschen auf Regen und den befreienden kühlen Wind aus Nordwest wuchs, aber die Schwüle wurde immer unerträglicher. Die Menschen, die ihm auf seinem Weg vom Kontor zu Jensens Kaffeehaus hinter der Börse begegneten, hatten müde Gesichter, und es hieß, dass in diesen Tagen, die das Blut in den Adern dick werden ließen, mehr starben als sonst.
    Die Bänke der Kirchen waren heute besser besucht als an anderen Tagen, denn auch die Angst vor dem großen Unwetter, vor der tödlichen Kraft der Blitze und vor den Donnerschlägen, die selbst die standhaftesten Seelen erschüttern, wuchs und trieb viele zum Gebet. Dann war da noch der Komet. Es schien gewiss, dass diese Düsternis sein Vorbote war. Der Himmel würde zerreißen wie an dem Tag, da Christus ans Kreuz geschlagen worden war, die Blitze würden Feuer regnen lassen und nur die Gerechten verschonen. Selbst einige Prediger baten Gott auf den Kanzeln und vor den Altären, er möge sich gnädig zeigen und die Kraft seines Himmelsboten nur zum Guten senden. Er möge nicht Sturm, sondern guten Wind bringen, der die Segel der Schiffe füllte und den Atem der Menschen befreite, Regen, der das verdorrende Land labte und das Wasser in den Fleeten und Brunnen zum Wohl der Menschen und Tiere, der Kinder Gottes, erfrischte.
    Und außerdem, dachte Claes, war es heute in den Kirchen gewiss am kühlsten. Aber selbst wenn er es sich nur widerwillig eingestand, auch ihm war die Düsternis, die der dunkle Himmel schon in der Mitte des Tages verbreitete, unheimlich.
    Im Kaffeehaus saßen nur zwei Fremde an einem der hinteren Tische und lasen, ohne auf den neuen Gast zu achten, in französischen Zeitungen. Wer nicht an der Börse oder im Kontor zu tun hatte, war heute zu Hause, stellte die Schaufeln zurecht und füllte die Wassereimer, um für einen Brand vorbereitet zu sein.
    Claes nickte Jensen zu, der eilig in die Küche lief, um die übliche Bestellung auszuführen.
    «Und einen Krug Wasser, Jensen!», rief Claes ihm nach, denn der Kaffee würde seinen Durst nicht löschen. Als er sich an seinen Lieblingstisch an einem der vorderen Fenster setzte, spürte er den Brief, den er in die Tasche seiner Weste gesteckt hatte, als er das Kontor

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