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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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erst zwei Stunden später, die blieben am Nachmittag, wenn die anderen sich zum Essen begaben, noch da und wüschen die geleerten Tonformen und vor allem die Schürzen der Knechte. Die Reinheit der Schürzen zeuge von der Reinheit des Zuckers. Das sei so Brauch. Nein, nicht immer die gleichen, es seien an jedem Tag andere. Ja, und der Meisterknecht beaufsichtige am Morgen zuerst die richtige Mischung aus rohem Zucker, Ochsenblut und Kalkwasser, und so gehe es fort. Das habe er ja jetzt alles selbst gesehen. «Und nun, Mylau, geschwind. Die Post. Ich werde bei Madame Marburger erwartet, zum Tee. Die Arme ist so mutlos, sie braucht meine Kraft.»
    Er schlüpfte wieder in seine Jacke, band sich eine frische Halsbinde, die er aus den Tiefen des Kontorschrankes geholt hatte, und trippelte, schon die richtige Mischung aus angemessener Trauer und schmeichelndem Lächeln im Gesicht, eilig davon.
    Rosina sehnte sich nach einem Bad. Sie fühlte sich wie eine Zuckerstange, klebrig durch und durch und mit süßem Guss überzogen. Wahrscheinlich war sie das auch, der zähe Dampf des kochenden Zuckers überzog alles, was in der Siederei, aber auch noch auf den oberen Böden stand, ging oder benutzt wurde, mit einer zähen Zuckerschicht. Nun war sie ein Teil davon.
    Ob es erlaubt war, ins Stammhaus hinüberzugehen und in der Küche ein wenig Wasser zu erbitten, damit sie sich wenigstens die Hände waschen konnte? Es musste erlaubt sein. Klebrige Briefe machten wahrlich keinen guten Eindruck, selbst wenn sie von einer Zuckerbäckerei kamen.
    In der Küche herrschte Hochbetrieb. Die Köchin, eine junge Frau, deren hübsches Gesicht vom Dampf über den Töpfen und Pfannen gerötet war, schlug dem neuen Hilfsschreiber mit den schönen Augen seine Bitte nicht ab. Leider konnte sie ihn nicht selbst in die Spülküche begleiten. Der Lachs war in der kritischen Phase, und nichts hasste Madame so sehr wie zerfallenen Lachs. Außerdem schlug sie gerade Sahne für das Dessert, eine Erdbeermousse mit Vanillebaisers, das ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. So schickte sie die Spülmagd, ein recht unansehnliches Geschöpf mit schlechten Zähnen, dem jungen Mann Wasser zu schöpfen und das Handtuch anzureichen. Dem Mädchen mochte es an Glanz fehlen, aber es fehlte ihm ebenso an Scheu.
    «Ihr seid neu, nich?», begann sie, und fuhr gleich mit gesenkter Stimme fort: «Gebt bloß acht.»
    «Worauf?»
    «In diesem Haus wird ständig gebrüllt. Aber nun, wo der Herr tot ist, wird’s ja vielleicht besser.»
    Rosina fand, das Mädchen schöpfe äußerst langsam, das war ihr sehr recht. «Wo hat er gebrüllt? Und mit wem?»
    «Überall. Und mit allen. Nur mit Madam nich, das wäre ihm auch schlecht bekommen.» Sie grinste zufrieden und zeigte eine beachtliche Zahnlücke. «Ich wunder mich nich, dasser tot is. Ich wüsst, wer’s gemacht hat, wenn der nich auch schon hin wär. Aber ich hab nix gesagt. Wo er ja auch seit Samstag im Grab …»
    «Wer? Wen meinst du? Wer ist auch schon tot?»
    Rosinas Herz klopfte, jede Sekunde konnte die Köchin hereinkommen, weil das Mädchen so lange fortblieb. Sie musste sich beeilen. «Nun sag schon. Wer ist außer deinem Herrn noch tot?»
    «Wenn Ihr so herrisch seid, sag ich gar nix.»
    «Verzeih», sie strich mit eiligem Lächeln über die raue Hand des Mädchens, «das wollte ich nicht. Bitte, sag mir, wer?»
    «Der war doch hier, vor ein paar Wochen, nich im Kontor, sondern in dem Herrn sein Zimmer, das war, als er noch nicht verrückt war, und …»
    «Ebba!»
    Nun war es passiert. Die Köchin stand in der Spülküche, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und blitzte ihre Magd zornig an. «Wie lange brauchst du, um eine Schüssel zu füllen?»
    Sie nahm dem Mädchen unwirsch den Schöpfbecher aus der Hand, tauchte ihn flink ein paarmal in die Wassertonne, und schon war die Schüssel bis zum Rand gefüllt. «Nun könnt Ihr Euch waschen.»
    Sie lächelte Rosina, besser gesagt: den hübschen jungen Mann namens Sven Mylau an, und ihre Stimme war wieder ruhig und ein ganz klein wenig schmelzend. «Wenn Ihr mich braucht, ruft nur, die Mousse ist fertig. Vielleicht mögt Ihr sie probieren? Und du», sie schubste das Mädchen derb in die Küche zurück, «geh endlich Spargel schälen!»

12. Kapitel
    Montag, den 16. Junius,
spätnachmittags
    Von dem Platz nahe St. Petri, der Berg genannt wurde und direkt vor der Fronerei lag, klang ein hoher, zirpender Gesang in die Pelzerstraße. Claes fand, es seien ganz

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