Der Sommer des Kometen
sprangen schon weiter. Billkamp und Stedemühlen auf einem Schiff? Und beide waren nach dem Barbareskenüberfall als Erste ausgelöst worden? Das musste nichts bedeuten. Billkamp war reich, seine Familie konnte schnell ein großzügiges Lösegeld bezahlen. Aber was hatte er überhaupt auf dem Schiff gemacht?
Claes’ Blick fiel aus dem Fenster, und plötzlich sprang er auf. War das nicht Wagner gewesen, der da gerade vorbeiging? Er lief zur Tür, und tatsächlich verschwand der Weddemeister gerade um die Ecke. Mit wenigen Schritten holte Claes ihn ein.
«Wagner, schnell, ich habe Neuigkeiten. Kommt mit ins Kaffeehaus, ich muss Euch einen Brief zeigen.»
Wagner folgte dem Kaufmann zögernd, als der, ohne seine Antwort abzuwarten, zurückeilte. Er hatte den Brief auf dem Tisch liegengelassen und sorgte sich plötzlich, er könnte verschwunden sein, wenn er zu lange wegbliebe.
Aber der Brief lag noch da, und Claes forderte Wagner ungeduldig auf, sich zu setzen. «Jensen», rief er, «noch zweimal Kaffee. Und Wasser. Aber bring besser Limonenwasser als das hier.»
Wagner war sowieso auf der Suche nach Claes Herrmanns gewesen, doch nun hockte er unglücklich auf der Stuhlkante. Zum einen, weil er dieses Kaffeehaus noch nie betreten hatte, und ganz sicher war hier auch nie ein einfacher Weddemeister bedient worden. Zum anderen, weil er einige sehr unangenehme Fragen stellen musste. Er hoffte nur, es gab eine gute Erklärung dafür, dass Christian Herrmanns kurz vor dem Tod des Kapitäns in der Nähe von dessen Garten gesehen worden war.
Aber nachdem Claes ihm die Zeilen über Billkamp, Stedemühlen und den Barbareskenüberfall vorgelesen hatte, vergaß er den Verdacht gegen Christian für eine Weile. Auch er konnte sich nicht an den Skandal erinnern. Er sei damals noch ein Kind gewesen, erklärte er, aber er wolle sich umhören.
«Und ich», sagte Claes, den das Jagdfieber nun doch wieder in den Fängen hatte, «werde noch einmal zu Madame Stedemühlen nach Altona reiten. Vielleicht gibt es irgendwelche Unterlagen, Tagebücher, irgendetwas, unter den nachgelassenen Papieren des Kapitäns. Ich muss sie sowieso wegen einer anderen Sache aufsuchen.»
«Gewiss, das wird sehr hilfreich sein», Wagner hüstelte. «Da ist noch eine Frage von Bedeutung. Sie betrifft, leider, möchte ich sagen, Euren …»
«Bocholt!» Claes hatte den Kaufmann in der Tür entdeckt und winkte ihm eifrig zu. «Entschuldigt, Wagner, wir kommen gleich zu Eurer Frage. Aber Bocholt kennt alle Leute und jede Geschichte von Belang. Wir wollen ihn nach unserer Sache fragen. Setz dich doch zu uns, Bocholt. Kennst du Wagner?»
Nein, Bocholt kannte Wagner nicht. Seine in der Tat vielfältigen Bekanntschaften beschränkten sich auf Leute, die sich Silberknöpfe an der Weste leisten konnten. Seiner Miene war deutlich anzusehen, dass er auf geringere Bekanntschaften auch keinen Wert legte, was Claes aber überhaupt nicht störte. Er saß im Kaffeehaus, mit wem er wollte. Sollte sich Bocholt, der sehr stolz darauf war, dass seine Großmutter aus einem adeligen Haushalt im Flämischen stammte, nur ein wenig sorgen, weil man ihn in dieser Gesellschaft sah.
Der Kaufmann hörte sich Augustas Geschichte an, und nachdem er mit genüsslich geschlossenen Augen den Duft seines Kaffees eingesogen hatte, er bevorzugte ihn mit zerstoßenen Nelken und Mandelmilch, begann er bereitwillig nachzudenken. Doch, sagte er schließlich, er habe da eine Erinnerung, aber nur eine sehr schwache. Da sei einmal so etwas gewesen, bald nach seiner Heirat, also müsse es an die dreißig Jahre her sein, und wer erinnere sich schon so lange zurück? An Namen? Nein, ganz gewiss nicht. Er habe sich auch damals nie an Schiffen beteiligt, die auf den gefährlichen Routen fuhren. Heute tue das ja sowieso kein vernünftiger Kaufmann mehr.
«Aber es gibt jemanden, der sich da auskennen muss. Warum fragst du nicht in der Admiralität? Die wissen doch alles, was mit der Seefahrt zu tun hat, und haben auch die Gerichtsbarkeit für diese Belange. Gewiss gibt es alte Akten. Oder geh doch gleich zu Claus Gerckens.»
«Claus Gerckens?», fragte Claes.
«Der Schreiber der Admiralität. Er ist zugleich der Sklavenvater», erinnerte ihn Wagner.
«Natürlich, Gerckens. Eine ganz vorzügliche Idee. Ich danke dir, Bocholt. Wisst Ihr, wo er zu finden ist, Wagner? In der Admiralität?»
Der nickte, aber Bocholt erklärte: «Du musst bis morgen warten, besser bis übermorgen. Ich habe heute in der
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