Der Sommer des Kometen
zu verweilen, und die eigentliche Neuigkeit hatte sie noch nicht erzählt. «Ich habe nämlich noch etwas viel Interessanteres erfahren. Wir haben doch gedacht, Monsieur Herrmanns, die toten Männer hätten nichts miteinander zu tun gehabt. Aber das schien nur so. Tatsächlich war Marburger mit Billkamp gut bekannt, sogar gut genug für einen lauten Streit.»
Claes war es, als sei das blitzende Wetterleuchten, das gerade am Abendhimmel über die Alster zuckte, durch ihn hindurchgefahren. «Seid Ihr sicher? Und ich habe heute gehört, dass Billkamp Stedemühlen gekannt hat. Vor vielen Jahren zwar, aber wohl recht gut. Doch davon gleich, sagt uns zuerst, was Ihr gehört habt.»
Rosina berichtete, was ihr das Spülmädchen verraten hatte. Danach hatte sie beschlossen, Pagerian gründlich auszufragen. Das war ganz einfach. Sie schrieb schnell die Briefe, die er ihr aufgetragen hatte, und brachte sie in großer Eile zur Post. Als sie ins Kontor zurückkam, kehrte der Schreiber gerade mit roten Wangen und innigem Lächeln von seinem Besuch bei der betrübten Witwe seines toten Herrn zurück.
Ein langer Besuch, fand Rosina, aber das war nur von Vorteil, denn Pagerian war durch die Huld der Dame in gönnerhafter Stimmung und schnell bereit zu plaudern. Rosina nutzte ihre Chance.
Auf der Poststation habe man erzählt, begann sie, der selige Herr sei ein alter Freund dieses Dichters gewesen, der erst kürzlich einem geheimnisvollen Leiden im Pesthaus erlegen und am Samstag in der Gruft von St. Petri seine letzte Ruhe gefunden habe. Das sei doch recht tragisch – zwei Freunde und innerhalb von wenigen Tagen dahingerafft.
«Nun ja», Pagerian hüstelte zögernd, aber seine Schwatzhaftigkeit und der Stolz, in die privaten Belange seines Herrn eingeweiht gewesen zu sein, siegten über die Verschwiegenheit, die seiner Stellung gebührte. «Der Herr hielt nicht sehr viel von der Dichtkunst, er war ein Mann von echtem Schrot und Korn, wie wir in dieser Stadt sagen, die Füße fest auf heimatlichem Boden und den Prinzipien des Handels. Ja, das war er gewiss. Und Billkamp – Ihr sprecht doch von Billkamp?»
Rosina nickte eifrig.
«Billkamp war da ganz anders.» Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. «Ein Dichter eben, wenig verlässlich und den Kopf immer in den Wolken, wenn Ihr wisst, was ich meine. Aber Ihr habt recht, er war vor einigen Wochen hier. Kurz nach Ostern? Nein, jetzt erinnere ich mich genau. Es war drei Tage vor Ostern, am Tag von Madame Marburgers Geburtstag, sie ist ein echtes Frühlingskind, müsst Ihr wissen, eine zarte Narzisse. Ach ja.»
«Er war also hier und besuchte den Herrn? Oder Madame Marburger?»
«Wo denkt Ihr hin? Sie ist eine Dame. Natürlich den Herrn, in seinem Kontor. Und tatsächlich», er senkte die Stimme, als könne der ihn noch hören und für seine Indiskretion strafen, «gab es nach einer Weile einen mächtigen Disput. Das war erstaunlich, denn zuerst hatten sie sehr nett miteinander geplaudert. Wohl über ein Leiden des Dichters, und der Herr gab Rat. Ja, er war immer hilfreich bei den Leiden Schwächerer.»
«Und worum ging es bei dem Streit?»
«Das weiß ich natürlich nicht, denkt Ihr, ich habe gelauscht? Aber der Dichter rief, er war einfach nicht zu überhören, immer wieder rief er, es müsse ans Licht, er werde es schreiben, mein Herr könne ihn nicht hindern, es werde sie beide vor der Hölle retten und solcherlei Dinge. Von Bekenntnissen vor Gott und den Menschen sprach er noch. Vielleicht sagte er auch Bewandtnisse, es war nicht so genau zu verstehen. Nun, ich sagte ja schon, den Kopf immer in den Wolken. Warum sollte auf meinen Herrn, der doch immer so selbstlos für das Waisenhaus und die Sklavenkasse gespendet hat, die Hölle warten?»
Rosina dachte, was der Tod aus den Menschen doch für Lügner mache. Das Einzige, was sie in der Poststation tatsächlich gehört hatte, war, dass alle glaubten, Pagerian müsse heilfroh sein, weil der Sensenmann seinen Herrn geholt habe und er nun endlich nicht mehr schikaniert werde wie ein lahmer Gaul.
«Und das war das einzige Mal, dass der Dichter hier war?» Rosina hoffte inständig, Pagerian werde ihre völlig unangemessene Neugier nicht auffallen, bevor sie genug gefragt hatte.
«Mein Herr war, wie ich schon sagte, stets darauf bedacht, anderen zu helfen. Schon am nächsten Tag schickte er einen Jungen in die Gröninger Straße. Dort wohnte Billkamp, müsst Ihr wissen, in einem ungewöhnlich reichen Haus für einen
Weitere Kostenlose Bücher