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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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immer auf Gottes Gnade zu vertrauen. Erspare mir, zu wiederholen, was sie sagten. Es war schrecklich.» Sie schluckte und zwei Tränen rannen über ihre Wangen. «Am nächsten Morgen gaben sie mir deinen Brief und schlossen mich ein. In der übernächsten Nacht brachten sie mich auf das Schiff.»
    Und dann erzählte sie ihm die Geschichte ihrer Reise in ihr neues Leben, von der Nacht an der Reling, als Stedemühlen kam und begann, ihr die Sterne zu erklären, dass sie in Lissabon, wo ihre Reise enden sollte, an Land ging, aber nur, um den Kapitän zu heiraten und ihm in sein Haus auf Madeira zu folgen.
    «Aber er war dir fremd. Liebtest du ihn? So schnell?»
    «Bist du gekränkt?» Endlich entzog sie ihm ihre Hand. «Nein, du bist nur dumm. Damals liebte ich ihn nicht, aber ich achtete ihn und hatte keine Wahl. Später habe ich ihn auch geliebt, für eine Weile, aber in den ersten Jahren war ich nur dankbar, dass er mit mir als seiner Frau lebte, trotz des Makels, den ich trug. Ich hatte es nicht erwartet, aber er hat Lucia sehr geliebt. Seit ihrem ersten Schrei. Mein Erlösungskind, nannte er sie immer. Wohl weil sie ihn aus dem einsamen Leben erlöste, das er bis dahin geführt hatte.»
    «Das hattest du doch schon getan. Und warum sollte er sein erstes Kind nicht lieben?»
    «Warum? Weil sie nicht sein Kind ist. Begreifst du denn nicht, warum eine Verbindung zwischen Lucia und Christian unmöglich ist? Sie ist nicht Stedemühlens Kind. Lucia ist deine Tochter.»
     
    Als Claes Herrmanns an der Kirche St. Pauli vorbeiritt, schlug die Glocke, aber er zählte nicht, wie es sonst seine Gewohnheit war, die Schläge. Er beachtete auch nicht, dass der Wind plötzlich in kühlen Böen über den Hamburger Berg stolperte, sein Hut davonwehte und der Himmel über Altona schwarz war wie in tiefer Nacht. Blitze zuckten und von ferne rollte der Donner, als nehme er Anlauf für den großen Sprung in die Stadt hinter den Festungsmauern. Die junge Stute spürte die Gewalt des Unwetters und tänzelte nervös, doch erst als sie in einen unruhigen Galopp fiel, kehrte Claes zurück in die Gegenwart.
    Lucia war seine Tochter. Und der Kapitän hatte es gewusst. Er hatte dieses Kind als seines anerkannt, hatte dafür gesorgt, dass während des Umzugs nach Bristol die Geburtspapiere verschwanden, und in England neue anfertigen lassen, die das Mädchen um ein Jahr jünger machten, seine Geburt mehr als ein Jahr nach der Hochzeit bezeugten. Tatsächlich war sie nicht, wie sie selbst glaubte, im gleichen Jahr geboren wie Christian, sondern schon ein Jahr zuvor.
    Gunda hatte dem Kapitän alles erzählt, bevor sie in diese Ehe einwilligte. Aber er hatte es schon gewusst. Die Tante, die Gunda begleitete, hatte ihm als dem Kapitän des Schiffes erklärt, wer unter seinen Segeln reiste. Alles sei Gottes Vorsehung, versicherte er Gunda später, auch die Sünde. Es sei nur Seinem Willen unterworfen, wer erwählt und wer verworfen werde. Die Aufgabe der Menschen, die in Seinem Geist wandelten, sei es, gefallene Brüder und Schwestern zu stützen und auf Gottes Weg zurückzuführen. Vielleicht sei es sein Auftrag, sie, Gunda, zurückzuführen. Sie möge das Buch Hiob lesen, es werde sie trösten.
    War dieser Mann wirklich so milde gewesen? Einer, der mit Sklaven handelte?
    Was sollte er nun tun? Auch wenn sie beteuerte, Stedemühlen sei ein guter Gatte gewesen, so hatte er, Claes, doch Gundas Leben zerstört. Weil er dumm gewesen war, selbstsüchtig und unbeherrscht. Wie sollte er diese Schuld jemals begleichen?
    Und wie sollte er seinem Sohn sagen, er könne seine Liebe nicht zum Altar führen, weil sie seine Schwester sei?
    Der Himmel zerriss, gleißende Blitze jagten durch das violette Schwarz der Wolkenwand, über dem Land zerbarst dröhnend der Donner, und Regen fiel wie eine Sintflut vom Himmel, aus den ersten warmen Schauern wurde eiskalt prasselndes Strömen, das die Augen blind und die Ohren taub machte. In wilder Panik jagte die Stute dahin, Claes beugte sich tief über ihren Hals, spürte das harte Schlagen ihres Herzens, das Pulsieren in ihren Adern, und die Qual seiner Seele wurde aufgesogen von dem Wüten des Himmels. Ohne darüber nachzudenken, zwang er die rasende Stute nicht in den Schutz der nahen Stadt, sondern an den Mauern und Gräben entlang zu Anne in ihrem friedlichen Haus unter den Bäumen.
    Dienstag, den 17. Junius,
nachmittags
    Als der vierte Donner grollte, hatte sich Pagerian milde gezeigt und seinem fleißigen

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