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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sprach er nicht davon? In ihrem Kopf vermischten sich die Bilder, und es kostete sie große Mühe, weiter ruhig zu erscheinen.
    «Wir haben nicht die leiseste Ahnung, warum er nach all diesen Jahren deswegen getötet worden sein soll», fuhr Claes fort, «aber es gibt einige Hinweise, die das nahelegen. Ich will dich damit gerade heute nicht aufhalten, es ist eine sehr verwickelte und immer noch recht rätselhafte Geschichte. Hast du seine Papiere schon durchgesehen?»
    «Ja.» Gunda nickte nachdenklich. «Flüchtig, es gibt nur sehr wenige. Und das ist wirklich erstaunlich. Da sind Berechnungen für allerlei Gestirne und Planeten und auch für diesen Kometen, von dem alle sprechen. Einige Verträge auch, aber nur über den Kauf dieses Hauses und ähnliche Angelegenheiten, die alle aus den letzten Jahren stammen.»
    «Keine Briefe? Keine alten Aufzeichnungen? Als Kapitän war er doch gewohnt, ein Logbuch zu führen, vielleicht hat er auch private Gedanken und Ereignisse aufgeschrieben. Vielleicht hast du auch noch nicht genug Muße gehabt, um alles …»
    Wieder schüttelte sie den Kopf.
    «Nein, da gibt es einfach nichts. Ich bin auch sicher, dass ich nichts mehr in irgendeinem verborgenen Winkel finde. Das war nicht seine Art, und bevor wir Bristol verließen, hat er sich lange in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und dann eine Kiste mit Dokumenten im Garten verbrannt. Unnötiges altes Zeug, sagte er, nur Ballast und zu nichts nütze.»
    Claes verkniff sich einen deftigen Fluch. Das waren sie ganz sicher gewesen, die Unterlagen, die er nun so dringend brauchte.
    «Dann muss ich auf andere Weise weitersuchen.» Er hoffte, sie werde den Ärger in seiner Stimme nicht bemerken. Nichts wünschte er sich in diesem Moment so sehr, als sie milde zu stimmen. Wie sollte er von ihrer Abreise vor mehr als zwanzig Jahren, die mehr einer Entführung geglichen hatte, beginnen?
    «Mehr kann ich dir nicht sagen, Claes.»
    Sie wollte, dass er ging, natürlich.
    Also begann er hastig einfach mit dem Anfang: «Gunda, ich muss das jetzt fragen. Stimmt es, dass deine Eltern dich damals, als du so überstürzt aus Hamburg abreisen musstest, mit Laudanum betäubt haben? Weil du dich sonst geweigert hättest abzureisen?»
    Ihr Gesicht wurde klein und blass, ihr ganzer Körper schien zu schrumpfen. Dann lehnte sie sich zurück und schloss erschöpft die Augen.
    «Wer hat dir das gesagt», flüsterte sie. «Von wem weißt du das?»
    «Von meiner Tante. Aber sorge dich nicht, sie ist klug und verschwiegen. Sie wird es niemals jemand anderem anvertrauen als mir. Es stimmt also?»
    Sie nickte schwach und öffnete die Augen, aus ihrem Blick war alle Kälte verschwunden.
    «Und nun willst du die ganze Geschichte hören.»
    «Wir haben beide mehr als zwanzig Jahre geglaubt, dass wir feige vom anderen verlassen wurden, Gunda. Wir wissen jetzt, dass deine Eltern uns das mit gefälschten Briefen glauben machten. Wenn sie dich trotzdem auf diese Weise zwingen mussten, das Land zu verlassen, müssen sie Gründe gehabt haben. Sag mir, welche, Gunda.»
    «Du kannst nicht vergessen haben, was wir taten. Was
ich
tat, denn für einen Mann ist das wohl nicht ungewöhnlich. Ich vergaß in dieser Stunde alles, was ich über Moral, Ehre und Würde gelernt hatte. Ich …»
    Was in jener Nacht vor vielen Jahren geschehen war, hatte Claes niemals vergessen, aber es war von Schmerz und Scham zugedeckt so weit in seinen Erinnerungen vergraben gewesen, dass es ihm schon lange unwirklich erschienen war, fast, als wäre es niemals geschehen.
    Er nahm erschrocken ihre Hand, und diesmal hielt sie sich an seiner fest.
    «Es war nicht deine Schuld, Gunda, ich war der Schuldige, ich war es, der alles vergaß, und, mein Gott, wir waren so glücklich. Und so jung. Und wir glaubten doch beide, dass sie uns dann erlauben würden, erlauben mussten, zu heiraten.»
    Er hielt ihre Hand und spürte, wie die Wärme in sie zurückkehrte.
    «Du hast es ihnen gesagt, deshalb brachten sie dich fort und strickten diese widerwärtige Intrige?»
    Sie lächelte matt.
    «Ja, ich habe es ihnen gesagt. Aber erst einige Wochen später. Du warst in Amsterdam gewesen, und ich wartete mit meiner Beichte, bis du zurück warst, weil mich deine Nähe stärkte. Ich hatte große Angst davor, in meinem Herzen hatte diese Nacht nichts Schmutziges, nichts Sündiges, doch ich ahnte,
sie
würden nur die Sünde sehen. Aber sie waren meine Eltern, und ich vertraute ihnen, so wie sie mich gelehrt hatten,

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