Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Hilfsschreiber erlaubt, sich schon am Nachmittag auf den Heimweg nach Altona zu machen. Er möge sich beeilen, hatte er Mylau munter nachgerufen, auf dem freien Feld vor den Wällen suche der Blitz nach allem, was sich bewege. Aber so weit kam Rosina gar nicht. Sie bog gerade erst in die Fuhlentwiete ein, als das Unwetter begann. Sie flüchtete in den
Bremer Schlüssel
, ihre Jacke war schon völlig durchnässt.
    Ein paar tränende Kerzen erhellten den nachtdunklen Raum nur notdürftig. Einige alte Männer hockten auf einer Bank nahe dem Schanktisch. Jakobsen stand am Fenster, die Stirn in besorgten Falten, und blickte auf die Straße. Der Wirt drehte sich um, er erkannte Rosina nicht sofort, aber dann, beim zweiten Blick, zog sich ein breites Grinsen über sein rundes Gesicht. Sie legte rasch den Finger auf den Mund, und er nickte. Er liebte Rosinas Scharaden, von dieser neuesten hatte ihm Titus unter dem Siegel der Verschwiegenheit schon erzählt, er würde die Komödiantin gewiss nicht verraten. Er führte sie in die Küche hinter der Schenke, drückte ihr ein Leinentuch in die Hand und ging wieder an seinen Schanktisch. Sie trocknete sich notdürftig ab, auf dem Handtuch blieb ein rötlicher Schimmer zurück, und sie hoffte, dass ihre Halsbinde weiß geblieben war.
    Die Küche war leer, auf dem nur mehr glosenden Herdfeuer köchelte eine wunderbar duftende Ochsenschwanzsuppe in einem großen Eisentopf. Sie füllte eine Kelle davon in eine Schale, brach ein Stück von dem frischen Roggenbrot, das auf dem Tisch lag, und trug beides in den Schankraum.
    Jakobsen war nicht zu sehen, wahrscheinlich rannte er durch sein Haus, um zu prüfen, ob alle Fenster fest verriegelt waren und der Regen an der dünnen Stelle im Dach über Linekens Kammer bereits durchtropfte.
    Rosina saß wohl schon eine Stunde in der Schenke, und das Unwetter tobte, als wolle es die ganze Stadt kurz und klein schlagen, als Jakobsen endlich Zeit fand, sich zu ihr zu setzen. Er trug frische Kleider, aber sein Haar war noch nass. Die Schuppentür habe sich losgerissen, erzählte er vergnügt, er habe sie erst vernageln müssen.
    «Aber mal ganz ehrlich: Es geht doch wenig über so ein richtiges Unwetter. Was, Mylau?»
    Mit seinem üblichen dröhnenden Gelächter schlug er auf Rosinas gepolsterte Schulter, stutzte, lachte noch dröhnender und rieb sich die Hände.
    «Irgendwann muss es ja aufhören», sagte er immer noch glucksend, «dann kann der Herr Hilfsschreiber in herrlich frischer, kühler Luft nach Altona laufen.»
    Rosina nickte missmutig. Im Gegensatz zu Jakobsen fand sie das Unwetter nur bedrohlich und äußerst störend. Im Kontor hatte sie heute nichts Neues erfahren können, und sie ertrug es schwer, bis morgen auf den Sklavenvater warten zu müssen. Womöglich verzögerte das Unwetter seine Rückkehr noch. Jakobsen, der sonst alles hörte, was in dieser Stadt geschah, hatte diesmal nicht helfen können.
    Einer der Alten auf der Bank langweilte sich. So ein Unwetter machte ihn nicht munter, er hatte schon ganz andere erlebt, damals, in der Biskaya oder im Skagerrak. Und einmal, als er auf dem wurmzerfressenen Engländer angeheuert hatte, da – ach was, uralte Geschichten, die keine lebende Seele mehr interessierten. Mit den Jahren erzählten er und seine Kumpane sich immer dieselben Geschichten, und auch wenn die anderen schon zu dösig waren und es nicht merkten, er wusste ganz genau, dass die Hälfte davon nicht stimmte.
    Aber Märchenerzählen war besser als nichts. Hörte nur keiner mehr richtig zu. Nicht mal dem, was er heute wusste. Das hatten sie ihm einfach nicht geglaubt. Er werde wohl bald blind, hatten sie gesagt, die unverständigen Kerle.
    Er blinzelte gegen die Kerze und entdeckte den rothaarigen Jungen, der bei Jakobsen hockte und aussah, als ob man ihm noch erzählen könnte, wie es im Leben zugeht. Er schob seine steifen Knochen über die Bank, schlurfte durch den Raum und setzte sich neben Rosina.
    «Na, Broder», feixte Jakobsen, «suchst du ein Ohr für deine ollen Geschichten? Dann lass mal hören.» Jakobsen war nicht nur ein guter, sondern auch ein freundlicher Wirt.
    Der Alte grinste und fing eifrig an zu erzählen. Rosina war schläfrig und hörte nicht richtig zu. Die Gewitterluft klopfte in ihrem Kopf, und die dicken Polster unter den Männerkleidern bedeuteten die reinste Schwitzkur. Aber dann fiel ein Wort, das sie hellwach werden ließ.
    «Was hat er gesagt?», fragte sie den Wirt. «Hat er was vom

Weitere Kostenlose Bücher