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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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herüberzieht. Er wohnte in der gleichen Herberge wie ich, und es ergab sich, dass ich einen Blick in seinen Reisesack werfen konnte. Es wird Eure schlechte Meinung von mir bestätigen, zu hören, dass ich auch zum Dieb wurde. Ich brauchte für meinen heimlichen Besuch in dieser Stadt einen neuen Namen, und so stahl ich seine Papiere. Vor allem das Empfehlungsschreiben von Bocholts Partner in Bordeaux schien mir ein Geschenk des Himmels. Nur Allah weiß, was er damit im fernen Marseille gemacht hatte. Das Schreiben war auf den Namen Kosjan ausgestellt und an den mir ganz unbekannten Kaufmann in Hamburg gerichtet, also nannte ich mich fortan Kosjan. Obwohl mir der Name nie gefiel. Aber er wird mich noch ein wenig begleiten müssen, bis ich wieder guten algerischen Boden unter den Füßen habe. Bocholt übrigens war es auch, der mir erzählte, wie nah Ihr mir auf der Spur wart. Nach dem Studium der Akten in der Admiralität hättet Ihr nicht mehr lange gebraucht, mich zu finden.»
    Laurentus stand auf und reckte seine vom Sitzen in der nebeligen Nachtluft nun doch steifen Glieder, ohne Claes aus den Augen zu lassen.
    «Und gestern begegnete mir ein Alter, dem ich ansah, dass er mich erkannte. Ich entkam ihm nur knapp, ich glaube, er war der, der mich als Schiffsjunge die ersten richtigen Knoten lehrte. Von meiner Familie lebt schon lange niemand mehr, und da kommt so ein vergessener Alter und erkennt mich. Das war lästig, aber ich muss gestehen, es rührte mich auch. Auch wenn ich nicht erkannt werden wollte, war es bitter, heimzukehren und nur in gleichgültige Gesichter zu sehen.»
    Er warf einen kurzen Blick auf das Boot. «Bleibt sitzen, mein Freund. Diesmal brauche ich Eure Hilfe nicht. Das Wasser ist hoch genug aufgelaufen. Und sorgt Euch nicht um Euer Leben, ich habe nicht alles verlernt. Diese Insel behält auch bei hoher Flut eine kleine trockene Kuppe. Die wird für Euch reichen.»
    Claes erstarrte. Laurentus würde ihn um keinen Preis wieder in das Boot einsteigen lassen. Aber auch wenn er jedes Zeitgefühl verloren hatte, war er sicher, dass das Wasser noch höher auflaufen würde. Und um nichts in der Welt wollte er in dieser finsteren Nacht auf einer winzigen Insel, die immer mehr zu versinken schien, allein zurückbleiben.
    «Warum so umständlich?», rief er schrill. «Warum habt Ihr die Zuckerhutform neben Marburger gelegt?»
    Laurentus stemmte sich gegen das Boot und schob es, die Pistole fest auf Claes gerichtet, langsam mit dem Rücken in den Fluss.
    «War das nicht eine nette Komödie? Ich hoffe, Ihr seid darauf hereingefallen. Wie auf den Kometenbeschwörer. Hat der auch Euch verwirrt? Nirgends hört man so viele Neuigkeiten wie als schweigsamer Heiliger auf einem großen Markt. Und ich gebe gerne zu, es war mir eine Lust, Verwirrung zu stiften in dieser Stadt, in der Ihr alle so satt und selbstgewiss seid.»
    «Ihr habt nicht uns Satte und Selbstgewisse, sondern die Armen und Törichten verwirrt.»
    «Ich hoffe, ich habe sie auch ein wenig aufgewiegelt.»
    «Niemand wird aufgewiegelt, wenn man ihm vorgaukelt, ein Prophet zu sein», rief Claes, dessen Angst in Wut umgeschlagen war, «wenn man ihn glauben macht, ein Stern sei für sein Los verantwortlich. Das macht die Leute nur dumm und folgsam wie junge Hunde.»
    «Seid Ihr ein Rebell, Herrmanns? Ich wusste doch, dass es noch einen anderen Grund als Eure liebliche, kluge Gattin in ihrem schönen Garten und Eure gute Küche gibt, warum ich Euch mag. Vielleicht habt Ihr recht. Wie schade. Nun, die Komödie auf dem Markt hat mich dennoch gut unterhalten. Und obwohl ich mein himmlisches Unwesen in Hamburg trieb, war Stedemühlen im dänischen Altona weit jenseits Eurer Festungsmauern doch zutiefst von meinen Prophezeiungen verstört. Ich glaube, dass er nichts dagegen hatte, zu sterben. Dabei wollte ich ihn nicht unbedingt töten, ich wollte ihn zuerst nur erschrecken und vor aller Welt bloßstellen, aber dann waren da plötzlich mein alter Zorn und diese Treppe. So etwas geschieht eben. Und tatsächlich merke ich nun, dass ich doch eine gewisse Genugtuung über seinen Tod spüre. Wenn auch nicht so sehr wie über Marburgers Ende.» Ein zufriedenes Lächeln glitt über sein Gesicht. «Marburger war ein Schwein, ein Teufel. Ich bin ja nicht einfach in diese Stadt gekommen und habe zugeschlagen. Ich habe zuerst den Leuten zugehört, habe gehört, was diese drei aus ihrem Leben, aus ihrem Reichtum gemacht haben, der mit jenem Mord begann und mit meiner

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