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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Verleumdung gesichert wurde.»
    «Und? Hättet Ihr Marburger verschont, wenn er ein braver, stiller Mensch geworden wäre?»
    Laurentus überlegte. «Vielleicht. Aber nein, wohl doch nicht. Marburger nicht. Und Stedemühlen? Wusstet Ihr, dass er das Geld, mit dem ihn Marburger damals bestach, im englischen Sklavenhandel vervielfacht hat? Ist das nicht kurios? Ausgerechnet mit dem Sklavenhandel? Sagt mir, Claes Herrmanns, ehrbarer Kaufmann, liebender Gatte und Vater, was hättet Ihr an meiner Stelle getan?»
    Verzeihen, wollte Claes rufen, auf Gottes Gerechtigkeit vertrauen. Aber er schwieg.
    «Euer Schweigen ist beredt.» Laurentus stieg in das Boot und stemmte die Riemen ins seichte Ufer. «Höchste Zeit für mich. Der Nebel wird sich gewiss bald lichten. Obwohl es immer noch kalt ist und der Morgen neuen Dunst bringen wird, wie Ihr besser wisst als ich. Ich bin nur noch die heißen Regionen gewöhnt, in denen ist ein solcher Nebel kaum bekannt.»
    Er stieß das Boot behutsam ab. «Ich werde Euch nun auf diesem hübschen Eiland zurücklassen. In ein paar Stunden, wenn der Tag beginnt, wird Euch ein Fischer finden. Bis dahin schont Eure Stimme. Wenn Ihr früher um Hilfe ruft, werden die Leute nur die Daunen noch fester über ihre Ohren ziehen, weil sie fürchten, der Fliegende Holländer oder die Hunde der Geisterjäger seien unterwegs. Also geduldet Euch. Das gibt mir die Zeit, die ich brauche, um genug Meilen zwischen meinen Kopf und Eure Wedde zu bringen.»
    Die letzten Sätze klangen schon gedämpft durch den Nebel, in dem das Boot mit leise klatschenden Ruderschlägen verschwunden war.
    «Lebt wohl», klang die Stimme noch einmal aus der milchigen Finsternis zurück. «Hätten wir uns unter anderen Umständen getroffen, wäre ich gerne Euer Freund geworden.»
    Claes stand noch immer auf der gleichen Stelle, aber das Wasser, das vorher noch einige Fuß entfernt gewesen war, leckte nun schon beinahe an seinen Schuhen. Seit Laurentus diese Insel als Junge erforscht hatte, waren viele Jahre vergangen, er hatte vergessen, dass der Lauf der mäandernden Flussarme immer in Bewegung war. Und dass nach einem Unwetter wie am vergangenen Tag die Fluten aus den Marschen kamen und das Wasser schnell und heftig steigen ließen. Claes wusste, dass diese kleinsten Inseln in den letzten Jahren nach solchen Regenstürmen stets überflutet gewesen waren.
    Die Panik krallte sich in seinen Rücken, er stand starr, lauschte in die unerträgliche Stille und schrie Kosjans Namen. Die Angst vor dem Wasser hatte ihn vergessen lassen, dass Kosjans Name Laurentus war.

15. Kapitel
    Dienstag, den 17. Junius,
nachts
    Der Nebel wurde lichter, aber immer noch verschluckte er alle Geräusche. Nicht einmal das Glucksen des Flusses war zu hören, weil es kein Ufer, kein Wurzelwerk mehr gab, an dem sich seine Fluten brechen konnten. Die Insel, auf der Laurentus Claes Herrmanns zurückgelassen hatte, war verschwunden. Die Flut reichte ihm nun schon fast bis zur Taille, und nur weil dieser sandige Hügel im Fluss abseits der tieferen und schnelleren Strömung lag, gelang es ihm, die Füße im Gesträuch und auf dem letzten festen Grund zu behalten. Aber seine Beine waren schon taub, seine Kräfte erlahmt, er wusste, er würde dem Druck des Wassers nicht mehr lange standhalten können. Gab das Wurzelwerk unter seinen Füßen nicht schon nach? Es würde bald ausgespült sein und davontreiben.
    Alte Geschichten von Nixen und Wassergeistern fielen ihm ein. Er konnte sich nun vorstellen, warum sie in den Köpfen der Küstenmenschen so lebendig waren. Auch er hatte in der letzten Stunde – oder waren es nur Minuten? – Schemen vorbeihuschen sehen, hatte die tödliche Versuchung gespürt, ihnen nachzugeben, dem Wasser und den Irrbildern zu folgen, sich treiben zu lassen und in der Umarmung des Flusses zu versinken. Zuerst hatte er um Hilfe gerufen, aber niemand hörte ihn, die Häfen lagen verschlossen und die Menschen in tiefem Schlaf.
    Mussten die Fischer nicht längst hinausfahren? Noch einmal versuchte er einen Ruf, seine Stimme krächzte, und die Gleichgültigkeit, die ihn nach einer Welle von Angst und Zorn gefangen hielt, ließ ihn wieder verstummen. Das Wasser stieg immer noch, langsamer jetzt, aber es stieg. Für einen Moment riss der Nebel auf, ein wenig nur, und wieder glaubte er einen Schemen zu sehen, dann schloss die Wand sich wieder. Er beachtete das Irrbild so wenig wie die Geräusche, die täuschend echt wie Ruderschläge aus einer

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