Der Sommer des Kometen
gerade erst Ketten und Balken lösten, gaben dem Wagen mit der seltsamen Fracht sofort den Weg frei.
Rosina lenkte die Füchse vom Tor über den Kuberg und das Johannisbollwerk hinunter auf die Straßen, die am Hafen entlangführten. Der Weg durch die innere Stadt war vielleicht kürzer, sie wusste es nicht so genau, aber diese Straßen waren breiter und erlaubten eine eiligere Fahrt, auch wenn am beginnenden Tag schon die ersten Wagen unterwegs waren.
Bei den Mühren, kurz bevor sie auf die Jungfernbrücke und hinüber auf die Wandrahminsel rollten, überholten sie drei Männer, einen Jungen und ein Pferd. Die grasgrüne Joppe und der strohgelbe Haarschopf des Dicksten unter ihnen konnten nur Titus gehören.
Titus und Sebastian, dem wie immer Muto wenige Schritte vorauslief, hatten sich bei Morgengrauen auf den Weg nach Hamburg gemacht. Rosina war nicht nach Hause gekommen, und auch wenn sie glaubten, dass sie wegen des Unwetters dortgeblieben und irgendwo Unterschlupf gefunden hatte, sorgten sie sich. Helena und Jean gingen nach Harvestehude, denn Helena dachte, Rosina sei gewiss bei Anne im Gartenhaus. Die anderen wollten zuerst bei Jakobsen im
Bremer Schlüssel
fragen, aber am Millerntor hörten sie die Wachen darüber reden, dass Herrmanns im Sterben liege und dass seine Köchin, zornig wie eine Furie, in der letzten Nacht durchs Tor in die Stadt gefahren sei.
Sie hasteten weiter und trafen als Ersten Struensee, der die Nacht im Schimmelmann’schen Palais verbracht hatte, weil die Gräfin gewiss war, dass ihr kleiner Friedrich, der jüngste Sohn, die Masern hatte. Es waren nur Hitzeflecken gewesen, aber Struensee hatte zur Seelenruhe der Mutter die Nacht am Bett des Kindes gewacht.
Als er die beunruhigenden Nachrichten aus dem Hause Herrmanns hörte, schloss er sich den Komödianten an und war gleich zur Stelle, als der vor Kälte immer noch zitternde Claes mühsam aus der Kutsche stieg.
Im Neuen Wandrahm wurden sie schon erwartet. Elsbeth hatte Benni gleich den zweiten Wagen anspannen lassen und sich mit dem Jungen auf den Weg durch die dunkle Nebelnacht gemacht. Am Dammtor hatte es sie viel Zorn und Geschrei gekostet, bis die verschlafenen Wachen bereit gewesen waren, das Tor noch einmal zu öffnen. Schließlich hatten sie gegen ein hohes Torgeld auch den Wagen passieren lassen.
Dann stand Elsbeth in ihrer Küche, schürte das Feuer und wurde ganz ruhig. Die drei würden es schaffen, hatte sie sich immer wieder versichert, sie würden ihn finden und heil zurückbringen. Sie hatte sich keinen Zweifel erlaubt und mit den verschlafenen Küchenmädchen gearbeitet, als gelte es, ein Fest vorzubereiten.
Claes wurde nun versorgt wie ein neugeborenes Kind, niemand achtete auf seine schwachen Proteste. Nachdem er schließlich an Annes sicherer Hand doch in den Schlaf der Erschöpfung hinübergeglitten war, wurde im Salon ein fürstliches Frühstück serviert. Immer wieder musste Rosina von der nächtlichen Suche erzählen, und je mehr sie erzählte, umso mehr wurde das Abenteuer auf dem Fluss zur Posse, umso mehr vertrieb Gelächter die Angst und das Entsetzen der letzten Stunden. Nur Christian fiel das Lachen ziemlich schwer. Er glaubte nicht, dass er sich jemals verzeihen könne, diese Nacht verschlafen zu haben. Und ebenso wenig würde er Elsbeth verzeihen, dass sie ihn erst geweckt hatte, als Claes sicher zurückgekehrt war.
Gerade als Muto sich das letzte Würstchen von einer der Platten angelte, trafen Helena und Jean ein, und in der Küche begann das Brutzeln und Köcheln von neuem.
Auch Wagner war da, Rosina hatte gleich nach ihrer Ankunft im Neuen Wandrahm nach ihm geschickt und das wenige, das sie schon wusste, berichtet. Monsieur Herrmanns lag zu Bett und war noch nicht in der Lage, ihm mehr zu erzählen. Aber für ihn gab es nun sowieso nichts mehr zu tun als zuzuhören. Der Mann, der den Kapitän und den Zuckerbäcker getötet hatte, war ans südliche Ufer der Elbe gerudert und von dort auf Nimmerwiedersehen verschwunden, dessen war Wagner gewiss. Sein Pferd und auch die Herrmanns’sche Stute hatte einer der Weddeknechte gerade dort gefunden, wo die beiden Männer die Tiere in der Nacht angebunden hatten. Also musste er einen anderen Fluchtweg vorbereitet haben, und da er ja schon in der Mitte der Elbe gewesen war, schien es nur vernünftig, nicht nach Hamburg zurück-, sondern weiter ans südliche Ufer zu rudern. Wagner hatte bereits einen Boten mit Nachricht über den Flüchtigen über die
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