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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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in der Neustadt, sondern in ganz Hamburg der größte Platz. Eng umstanden von nicht zu alten hochgiebeligen Fachwerkhäusern, in denen auch Werkstätten, kleine Läden und Schenken Platz gefunden hatten, bot er einen freundlichen Aufenthalt. Heute Morgen drängte sich alles Volk vor dem Wachhaus zusammen. Auch die vier Chorknaben, die von St. Michaelis die Schlachterstraße heraufflitzten und dabei fast einen Torflieferanten und eine alte Reisigbesenhändlerin umrannten, tauchten sofort in der Menge unter.
    Rosina kannte den Marktplatz noch gut vom letzten Frühjahr, als sie nicht weit von hier in der alten Theaterbude in einem Hof der Neustädter Fuhlentwiete gespielt hatten. Wochenlang, und immer im ausverkauften Theater. Aber auch damals waren die ersten Wochen voller Probleme gewesen, und schließlich hatte sich alles zum Guten, tatsächlich sogar zum Allerbesten gewendet. Vielleicht war es einfach so hier im Norden. Schwerer Anfang, furioses Finale.
    Lies und Matti hatten sie weggeschickt, aber die Salbe behalten. Sie hatten etwas von ‹in den Büchern prüfen› gemurmelt, von nachdenken und davon, dass sie Bescheid geben würden. Zuerst war Rosina enttäuscht gewesen, sie hatte gehofft, sofort zu erfahren, ob der Dichter tatsächlich Hexensalbe besessen hatte. Aber die beiden würden sicher nicht lange brauchen.
    Sie griff wieder in ihren Beutel, nahm sich selbst einen Kringel heraus und biss fest hinein. Der herb-süße Geschmack von Buchweizen und Vanille war köstlich. Eigentlich sollte sie traurig über den Tod des Dichters sein, zumindest angemessen kummervoll. Aber sie hatte ihn nicht gekannt, und wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich seit diesem gruseligen Besuch im Pesthof erheblich besser. In der letzten Woche hatte das Warten alle nervös gemacht, sie waren betrogen worden, und es gab keine Aussicht auf Entschädigung. Daran hatte sich nichts geändert, aber Rosina fühlte, dass etwas Wichtiges geschehen war. Das tatenlose Warten war vorbei, es gab nun etwas, das sie herausfinden musste. Helena hielt ihren Verdacht zwar für kindisch, aber sie spürte genau, dass es um den Tod des Dichters irgendein krummes Geheimnis gab.
    «Da bist du ja, wir haben schon gedacht, der Kerl da hinten hat dich weggehext.»
    Helena, das dicke kastanienfarbene Haar wie immer trotz der ordentlichen Bänder ein wenig zerzaust, stand mit leuchtenden Augen vor ihr. Die ängstliche Beklommenheit, mit der sie versucht hatte, Rosina die Suche nach dem Manuskript auszureden, war verschwunden. Helena liebte den Trubel auf den Märkten, und in Altona mochte es städtisch zugehen, aber von echtem Trubel war da nun mal keine Spur.
    «Komm schnell, Rosina, du musst ihn dir unbedingt aus der Nähe ansehen. Vielleicht ist der die Lösung deines Rätsels. So komm doch.»
    Sie griff nach Rosinas Ärmel und zog sie einfach mit sich durch die Menge. Die Neugier hatte alle vereint, Köchinnen mit weißen Schürzen, Damen in Seide und Musselin mit kleinen Hündchen und buntseidenen Fächern, barfüßige Bettelkinder in Lumpen und Johanneumschüler mit weißen Kragen und kleinen Schnallen auf feinen Schuhen, Herren, die in bestem englischen Tuch unter ihren Perücken schwitzten und Schlachter- und Bäckergesellen in weiten blauen oder weißen Kitteln. Straßenhändler und Bettler, Schiffer aus den Vierlanden und Matrosen aus aller Welt, sonnenverbrannt und bärtig wie der Leibhaftige. Sogar die Marktfrauen vor dem Brunnen, die sonst kein Auge von ihren Körben und Karren ließen, damit nur kein flinker kleiner Dieb einen Apfel oder Kohlkopf, eine Handvoll Zimtkuchen oder gar eine Rolle Tonderner Klöppelspitzen stibitzte, starrten erwartungsvoll zu dem kleinen Podest aus Feldsteinen wenige Schritte vor der Wache.
    Ein Straßenmusikant mit blinden Augen hockte davor und entlockte der Drehleier auf seinen Knien seltsam jammernde Töne. Und obwohl er sie nicht sehen konnte, hatte auch er den Kopf der Gestalt, die über ihm auf den Steinen stand, zugewandt, sodass ihm seine Filzkappe in den Nacken gerutscht war. Die Sonne brannte stechend, und zwei Wasserträger und die Wirte, die aus den geöffneten Fenstern der Schenken am Rande des Platzes Dünnbier verkauften, machten gute Geschäfte.
    «Siehst du ihn? Da ist er», flüsterte Helena. «Die Wedde hat ihn vom Gänsemarkt vertrieben, sagen die Leute, aber hier in der Neustadt wird er geduldet.»
    «Kein Wunder», knurrte Sebastian, der plötzlich neben ihnen stand, «hier in der Neustadt

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