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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Tod erwartet hatte, war Matti ein Wunder gewesen. Nach einem Jahr kehrte der Grönlandfahrer, mit dem Matti verlobt war und der schon lange als verschollen galt, zurück, und Lies verschwand still in der folgenden Nacht.
    Auch damals wäre sie lieber gestorben, als Matti diesem Mann zu überlassen und ohne sie weiterzuleben, aber die junge Hebamme hatte sie in dem gemeinsamen Jahr nicht nur alles gelehrt, was sie selber wusste, sondern ihr auch einen festen Glauben an das Leben gegeben. Also lebte sie weiter, zuerst für Mattis Glauben und schließlich, nach einigen Jahren, weil aus den unheilbar scheinenden Wunden ihrer Seele harte Narben geworden waren.
    Aber als sie Matti im vergangenen Jahr wiedertraf, war es, als seien die Jahrzehnte seit ihrer Trennung im Flug vergangen, und als die Becker’sche Komödiantengesellschaft weiterzog, blieb Lies im Haus unter den Linden. Die Entscheidung war ihr nicht leichtgefallen. Sie war fast ihr ganzes Leben über die Straßen gezogen, und in einem ehrlichen Moment gestand sie sich ein, dass sie sich vor allem davor fürchtete, sie und Matti könnten einander nicht mehr wie früher Tag um Tag, Nacht für Nacht ertragen. Aber Matti hatte gelacht, als sie ihr endlich diese Angst gestand. Es sei ja auch früher oft ein Kampf gewesen, das gehöre doch zum Leben. Und dann erinnerte sie an den nächsten Winter, strich dabei sanft über Lies’ Finger, die deutliche Anzeichen der Gicht zeigten, und Lies sagte: Gut, für ein Jahr. Dann sehen wir weiter.
    Das Jahr war nun um, aber niemand sprach mehr davon, dass Lies dieses Haus und Matti wieder verlassen könnte. Wahrscheinlich dachte auch niemand mehr daran.
    Matti servierte kalten Tee von Malvenblüten und getrockneten sauren Äpfeln, schnitt ein paar Minzeblätter hinein und freute sich über ihre Gäste. Sie hatte den Grönlandfahrer geheiratet, wie sie es damals für ihre Pflicht gehalten hatte. Aber schon von einer seiner nächsten Fahrten kehrte er nicht mehr zurück, und danach lehnte sie alle Bewerber in ihrer freundlichen und unerschütterlich eigensinnigen Art ab. Mit Lies’ Komödianten hatte sie nun doch noch so etwas wie eine Familie bekommen. Sie gastierten zwar nur einmal im Jahr für wenige Wochen an der Elbe oder der Alster, aber das fand sie angenehm. Zu viel Besuch hatte sie nie geschätzt.
    Gespannt lauschten Matti und Lies, was Rosina und Sebastian über den Tod des Dichters erzählten.
    «In seiner Kammer», schloss Rosina, «habe ich etwas gefunden, das uns sehr bedeutsam erscheint.»
    Sie holte das immer noch in Struensees Leintuch gewickelte Näpfchen aus ihrer Rocktasche, packte es behutsam aus und reichte es Lies.
    «Kannst du mir sagen, was das sein mag? Wir sind ziemlich sicher, dass es Hexensalbe ist.»
    «Sei still, Kind», zischte Lies, und Matti sah sich halb amüsiert, halb erschreckt um. Aber die Hecke um den Garten war zu hoch, heimliche oder zufällige Lauscher konnten von dem Platz unter der Buche aus nicht entdeckt werden.
    Die alten Frauen steckten die Köpfe zusammen, dass die zierlichen Hauben über ihren grauen Scheiteln wie eine große erschienen, studierten gemeinsam den Papierfetzen auf dem Gefäß und erhoben sich.
    «Lasst uns ins Haus gehen», sagte Matti, «man weiß ja nie.»
     
    «Es sind wirklich gute Katzen», schmeichelte das Kind, «ganz brave, die werden die besten Jäger.»
    Wieder hob es Rosina die schmutzigen Lumpen entgegen, in denen drei rot-weiß gescheckte und zwei ganz und gar schwarze Katzenjunge kreuz und quer übereinandergerollt dösten.
    «Paar Wochen bloß, und die fang’n dir jede Maus, Ratten sowieso. Wir ham in unserm Keller nich eine Ratte mehr.»
    «Deine Kätzchen sind wirklich hübsch.» Rosina strich mit dem Zeigefinger über einen der kleinen Köpfe. «Aber ich kann keines brauchen. Leider. Doch warte.»
    Sie griff in ihren Beutel, holte einen der dicken Hefekringel hervor, die sie in der Bude am Millerntor erstanden hatte, und steckte ihn dem Kind, dessen Züge ein Mädchen vermuten ließen, das aber wie ein Junge gekleidet war, in das ausgefranste Hemd. Dann drehte sie sich schnell um und lief den anderen nach. Sie kannte harte Zeiten, und seit sie bei der Becker’schen Komödiantengesellschaft lebte, war der Tisch nicht oft üppig gedeckt, aber sie hatte doch nie hungern müssen. Was konnte erbärmlicher sein als ein hungriges Kind?
    Suchend sah sie sich um. Der Großneumarkt, ein weites viereckiges Gelände nahe der Michaeliskirche, war nicht nur

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