Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
Zölle so erhöht, dass der Export heftig litt. Und vom Export lebte die Stadt. Hamburg war letztlich nichts anderes als ein riesiges Kaufhaus, in dem Waren aus aller Welt ankamen und in das weite europäische Hinterland weiterverkauft wurden.
    Außerdem forderten die Franzosen seit einigen Jahren für jeden Sack, der von einem französischen Schiff im Hamburger Hafen gelöscht wurde, für jeden Krümel, den ein deutsches Schiff in Frankreich an Bord nahm, deftige Gebühren. Auch das ließ den Gewinn bedenklich schrumpfen. Solange alle Waren aus den Kolonien nur von Schiffen der Kolonialmächte transportiert werden durften, waren die deutschen Händler machtlos. Die Hamburger traf es besonders hart. Ein großer Teil dieser Waren und jeder zweite Sack Kaffee aus den französischen Kolonien nahmen den Weg über ihren Hafen. Aus London hörte man zwar, in den nordamerikanischen Kolonien der englischen Krone gäre es gewaltig, aber solange die noch zu ihrem europäischen Mutterland gehörten, konnten Hamburger Schiffe dort auch keine Geschäfte machen. Und dass sich das jemals ändern könnte, glaubte niemand, der nicht gerade seinen schwärmerischen Kopf in den Wolken hatte.
    «Mumpitz. Blanker Unsinn. Ich sage dir, der hatte einfach ein zu weiches Hirn. Das kommt vom Sellerie.»
    Die schnarrende Stimme riss Claes aus seinen Gedanken. Offenbar war die Börse geschlossen, denn das Kaffeehaus füllte sich. Der Mann mit der lauten Stimme war der Zuckerbäcker Marburger, ein fülliger Hüne im nachtblauen Rock, aus dessen etwas zu engen Ärmeln reichgekräuselte Spitzenmanschetten hervorquollen, die eher auf den jährlichen Empfang der Admiralität als in ein Kaffeehaus gepasst hätten.
    «Irma hat seine Köchin heute Morgen auf dem Markt getroffen, obwohl man wirklich nicht weiß, was sie noch zu kochen hat, wo er nun tot ist und sowieso schon im Pesthof eingesperrt war. Also, seine Köchin sagt, dass er ständig Sellerie verlangt hat, am liebsten mit dem Kraut. Man stelle sich das vor, mit dem Kraut. Dabei ist Sellerie ja doch eine sehr unbekömmliche Knolle, viel zu aromatisch. Und», er kicherte meckernd, «sie geht auch stark ins männliche Blut, und wo er doch gar keine Frau hatte, wozu braucht er da den Sellerie?»
    «Da bin ich aber ganz anderer Ansicht», widersprach sein nicht minder beleibter, aber um etliches kleinerer rotnasiger Begleiter im erbsengrünen Rock, der bei jedem seiner Worte einen spitzen Zeigefinger in die Luft stach und den letzten Satz einfach überhörte. «Sellerie verdünnt das Blut, und das kann für einen wie den Billkamp nur gut sein. Jensen, bring uns Kaffee, aber ohne alles und schnell.»
    «Jensen», Claes hielt den vorbeieilenden Wirt am Ärmel fest. «Wer ist tot? Billkamp? Wer ist das?»
    «Habt Ihr nicht gehört? Meister Lysander, der Dichter, er hat ein Haus in der Gröninger Straße und wollte vor einigen Wochen von St. Petri fliegen. So sind die Dichter, einfach zu viel Phantasie, sage ich. Sein Cousin hat ihn in den Pesthof gebracht, und da ist er gestern gestorben.»
    Jensen beugte sich ein wenig zu Claes hinunter, hob die Hand vor den Mund und flüsterte mit glänzenden Augen: «Doktor Kletterich soll ihn ein bisschen zu gründlich behandelt haben. Aber darauf darf man gewiss nichts geben. Entschuldigt mich, der Kaffee.»
    Claes erinnerte sich, dass Julius Billkamp, der bis vor wenigen Jahren einen einträglichen Handel vor allem mit Kattun, afrikanischen Hölzern und Zucker betrieb, sich mit dem Namen Lysander geschmückt und der Dichtkunst verschrieben hatte. Im Kaffeehaus war oft darüber gespottet worden. Aber wenn er sich von Kletterich, diesem geldgierigen Aderlasser, behandeln ließ, war er selbst schuld.
    Claes rührte in seinem längst kalt gewordenen Kaffee und beobachtete die beiden Männer, die sich, immer noch laut schwatzend, an einen der Tische an den Fleetfenstern gesetzt hatten. Marburger hatte sich wirklich fein herausgeputzt. Claes empfand Respekt für tüchtige Männer, die wie der Dicke mit den unpassenden Manschetten ihr Erbe aus eigener Kraft verdoppelt hatten. Marburger galt nun als der größte Raffineur in der Stadt, und die Qualität seiner Ware war unbestritten. Es hieß, sogar der preußische König rühre Marburgers Zucker in den Mokka.
    «Ich habe Euch ertappt, heimlich bewundert Ihr unseren ersten Zuckerbäcker doch.»
    Sonnin, dessen dunkelroter Samtrock über der Weste mit der etwas ausgefransten Stickerei wie üblich ein wenig staubig war,

Weitere Kostenlose Bücher