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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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den Zucker besonders süß und auch besonders haltbar machte. Vor einem guten Jahr war sein Onkel gestorben und hatte ihm ein paar Äcker und ein bisschen Vieh hinterlassen.
    «Das hat er verkauft und dafür die kleine Zuckerbäckerei von der Lenzerin gekauft, deren Mann im letzten Jahr an den Masern gestorben ist. Marburger wollte ihn nicht gehen lassen, er bot ihm sogar besseren Lohn – man stelle sich vor, Marburger, der alte Geizkragen! Aber Oswald wollte selbständig sein, und wahrscheinlich hatte er die Schinderei bei dem Dicken längst satt.»
    Das ganze Geld sei draufgegangen für sein neues Geschäft und dazu habe er sich was leihen müssen. Zuerst ging es gut, und er lieh sich noch ein bisschen mehr, kaufte den Schuppen neben seiner Raffinerie dazu, um weitere Pfannen aufzustellen. Und dann ging es plötzlich steil bergab. Seine Lieferungen fielen in die Elbe, ein paar Fässer kamen mit Pferdeurin durchnässt bei seinen Kunden an, andere waren mit Salz durchmischt. Jedenfalls blieben bald die Aufträge aus, und es gab Gerüchte, dass er allen möglichen giftigen Kram in seinen Zucker mische, damit er besonders weiß werde. Oswald ging bankrott.
    «Es passiert alle Tage, dass in Hamburg jemand bankrottgeht», wandte Claes ein, «ab und zu muss selbst ein großer Händler wieder von vorne anfangen.»
    «Aber Oswalds Ruin stinkt doch zum Himmel. Wenn es auch keiner offen ausspricht, viele glauben, dass Marburger da seine schmutzigen Hände im Spiel hatte. Und womit sollte Oswald wieder von vorn anfangen? Er kann froh sein, wenn seine Gläubiger ihn nicht ins Werk- und Zuchthaus stecken. Und seine Frau hat gerade das dritte Kind gekriegt. Wir sollten diesem verdammten Marburger endlich zeigen, dass er nicht machen kann, was er will.»
    Claes hoffte still, dass sich Christian seine Fähigkeit zur Empörung über diese düsteren Seiten des Kaufmannslebens lange bewahren würde. Für einen wie Oswald, der nichts gehabt hatte als ein paar magere Äcker und drei Kühe, und nun tief in Schulden steckte, gab es tatsächlich kaum eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen. So einem blieb nur, den Rücken demütig zu beugen und wieder Knecht zu werden. Wenn ihn noch einer nahm. Es wimmelte in Hamburg ja nur so von Armen ohne Brot und Arbeit. Da musste man keinen einstellen, der sich als unzuverlässig erwiesen hatte.
    «Wenn ich so eine Geschichte höre, bin ich froh, dass ich all mein Geld immer wieder in der Lotterie verliere.» Sonnin bemühte sich vergeblich, ein wenig Staub von seiner rechten Schulter zu klopfen. «Marburger ist doch ein hübsches Beispiel dafür, dass Geld tatsächlich den Charakter verdirbt. Ihr, meine Freunde, seid natürlich Ausnahmen. Aber nun lasst uns von etwas Erfreulicherem reden. Wie geht es Eurer lieblichen Gemahlin, Herrmanns? Pflanzt sie wieder neue Bäume?»
    Claes lachte schallend.
    Und Christian hätte über seinem Zorn auf Marburger fast vergessen, dass sein Vater an diesem Morgen Lucias Eltern besucht hatte.

6. Kapitel
    Freitag, den 13. Junius,
zur späten Mittagszeit
    Gunda Stedemühlen sah zum Himmel auf und suchte die Lerche, deren hell flirrender Singsang wie die Verheißung von Sorglosigkeit und Glück über dem Garten lag. Sie beschirmte die Augen mit beiden Händen, aber der kleine Vogel war gegen das gleißende Licht nicht zu erkennen. Auf Madeira hatte sie nie eine Lerche gehört, und so war das übermütige Zwitschern für sie immer mit der weiten Ebene um die Stadt ihrer Kindheit verbunden geblieben, mit diesen Sommern ohne Ende, dem warmen leichten Wind, der über die Felder kam und den Geruch von blühendem Weizen und Hopfen mitbrachte. An einen Sommer wie diesen konnte sie sich nicht erinnern, aber sie fand, dass alles zueinander passte. Das stechende Licht über der Schwüle, der Geruch von brackigem Wasser und diese maßlose Verwirrung, die sie nun spürte. Aber der Garten duftete süß, und sie genoss diesen Duft wie einen Trost.
    Sie nickte den Gärtnern zu, die immer noch Wanne um Wanne von der Pumpe zu den Beeten trugen, und schritt entschlossen zum Pavillon, der wie ein kleiner, von Geißblatt und Heckenrosen umrankter Turm mit seinem sechseckigen Dach am Ende des Gartens stand. Die Ranken waren schwer von zarten blassrosa Blüten, und ihr Duft vermischte sich mit dem der Holunderdolden.
    Ihre Vermutung war richtig gewesen. Lucia saß auf der Bank im Pavillon, die Ellenbogen auf die Brüstung, das kleine runde Kinn auf beide Hände gestützt, und sah

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