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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gezogen, und Lucia sagte: «Nun ja …», und schwieg.
    «Was heißt ‹Nun ja›? Ja oder nein?»
    «Nun ja. Ich meine, das ist nicht so einfach. Wie ich schon sagte, er ist sehr schön, und so stattlich. Und auch sehr ernsthaft, und doch kann er wunderbar lachen. Und er hört mir immer zu, wenn ich rede. Weißt du, er gibt mir nie das Gefühl, nur ein Mädchen zu sein. Ich meine, kein ganzer Mensch. Jeremy ist auch sehr hübsch, und er redet auch mit mir, aber er macht immer Scherze und sagt
little Lady
zu mir. Das ist ja nett, aber er und die anderen jungen Männer behandeln mich, als könnte ich nicht bis drei zählen. Wie soll ich mein Leben mit so einem Mann verbringen, ohne dabei tatsächlich dumm zu werden? Doch, ich liebe Christian sehr. Ich träume sogar von ihm.» Auch sie seufzte nun, aber leicht wie ein Windhauch.
    «Lucia!»
    «Aber dafür kann ich doch wirklich nichts. Ich träume schöne Dinge. Wir fahren in einem Boot, und es schaukelt. Und er sitzt mir gegenüber und sieht mich an.»
    «Und dann?»
    «Dann? Nichts mehr. Es ist ein sehr schöner Traum.»
    Dann nichts mehr. Gunda entspannte sich, zumindest ein wenig.
    «Hast du damals auch von Papa geträumt?»
    «Nein. Ich glaube nicht. Es ist sehr lange her.»
    «Aber du musst dich doch erinnern. Ihr habt euch doch sehr geliebt, sonst hättest du ihn gewiss nicht geheiratet. Ich kenne dich gut, Mama.» Sie lachte und tätschelte ihrer Mutter großmütig die Wange. «Du tust immer sehr streng, aber du hast doch eine milde Seele voller Liebe. Niemals hättest du nur deinen Eltern zu Gefallen geheiratet. Aus Gehorsam. Du hast mir nie erzählt, wie ihr euch kennengelernt habt. War es in Hamburg? In Großvaters Haus?»
    «Nein.» Gunda sah ihre Tochter an und fand, dass es Zeit wurde, ihr davon zu erzählen, dass das Leben nicht immer in Salons und auf Schlittschuhen begann und dass es nur wenig mit den englischen und französischen Romanen gemein hatte, die Lucia neuerdings so leidenschaftlich las.
    «Nein. Ich habe den Kapitän ja erst auf dem Schiff nach Lissabon kennengelernt …»
    «Und gleich habt ihr euch geliebt? Vom ersten Augenblick an? Ihr habt doch schon in Lissabon geheiratet. Oh, Mama, wie romantisch.»
    «Ja», murmelte Gunda. «Romantisch. Er erklärte mir die Sterne. Ich war ja noch sehr jung und auf der Reise zu Verwandten, sehr entfernten Verwandten, du kennst sie nicht. Ich sollte dort … nun, jedenfalls haben wir dort geheiratet. Dann bin ich ihm nach Madeira gefolgt.»
    Eine spröde Geschichte voller Lücken, aber das schien Lucia nicht zu stören.
    «Und du hast deine Eltern nicht gefragt. Das konntest du gar nicht, sie waren ja in Hamburg.»
    Gunda überhörte den gefährlichen Triumph in den Worten ihrer Tochter und bemühte sich, das Zittern ihrer Stimme zu verbergen.
    «Ich konnte ganz sicher sein, dass sie einverstanden waren. Er war ein ehrbarer Mann, und er gehörte zu unserer Kirche. Und eine Tante war bei mir, sie gab uns den Segen.»
    Und roch ständig nach altem Puder und Pomeranzen, aber das sagte sie nicht. Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die Gunda ganz und gar nicht gefiel. Auch Mütter, so fand sie, hatten ein Recht auf Geheimnisse.
    «Es ist so traurig, dass Großmama und Großpapa so früh gestorben sind. Alle haben so viele Verwandte, wir fast gar keine. Papas Eltern, deine Eltern, alle sind tot, und ich habe sie nie kennengelernt. Glaubst du, sie wären auf meiner Seite gewesen? Sie waren gewiss sehr liebe Menschen.»
    «Gewiss. Und sehr gerecht. Ich glaube aber nicht, dass sie anders denken würden als der Kapitän und ich.»
    «Mama?» Lucias Stimme klang plötzlich sehr erwachsen. «Ich habe immer noch nicht verstanden, was ihr gegen Christian einzuwenden habt. Papa will nicht einmal mit mir über ihn sprechen. Er kommt kaum noch aus seinem Zimmer, nur nachts geht er in das Observatorium, und da darf ich ihn nicht stören. Christian gehört doch zu einer guten Familie, er ist der älteste Sohn, ist auch freundlich, und sein Vater, so heißt es, sei ein bedeutender Mann. Jeremy hat gesagt, dass Christian weder zu viel trinkt noch spielt …»
    «Er ist kein Mitglied unserer Kirche, Lucia. Dein Vater wird dieser Verbindung nie zustimmen. Sie ist nicht recht.»
    «Aber Hetty durfte doch auch …»
    «Du bist eben nicht Hetty, wir haben andere Sitten. Und ihre Familie brauchte dringend eine gute Partie. Wir sind auf so einen Handel nicht angewiesen. Gedankt sei Gott. Außerdem lebt Hetty in

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