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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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in eine fremde Welt sein, in einen Kosmos voller Fratzen, Töne und Begegnungen mit fremden Wesen, bis an die Schwelle – hoffentlich nur bis an die Schwelle – des Todes.
    Das sagten die Zeichen. Aber sie aufzumalen oder die Salbe tatsächlich zu kochen und in das Glas zu füllen, waren zwei Dinge. Sie waren sich schnell einig gewesen, dass es nur eine Möglichkeit gab, die Wahrheit herauszufinden. Zwar bedauerten sie, dass sie die Salbe erst heute bekommen hatten, denn von alters her war der Donnerstag der beste Tag für jede Art von Zauberei. Aber zum einen war heute erst Freitag, und zum anderen glaubten sowohl Matti als auch Lies schon lange mehr an die Kraft des Bilsenkrauts und der Tollkirsche als an die alte Zauberei. Obwohl man natürlich nie ganz sicher sein konnte, ob das eine ohne das andere tatsächlich wirkte.
    Entschlossen öffnete Matti die Bänder ihrer Bluse und streifte das weiße Leinen über die Schultern.
    «Nun komm schon, Lies, sei brav und bring es mir.»
    Dann tauchte sie den Ring- und den Mittelfinger der linken Hand in das Glas und bestrich ihre Achselhöhlen mit der grauen Salbe.
    Freitag, den 13. Junius,
nachmittags und abends
    «Und du kennst sie schon so lange? Dann verstehe ich erst recht nicht, warum sie sich so gegen Christian stellt. Kanntest du sie gut?»
    «Nun, was heißt gut? Unsere Väter hatten gemeinsame Geschäfte. Wie man sich dann so kennt. Sie verließ Hamburg bald und hat in Lissabon den Kapitän geheiratet. Ich habe nie wieder von ihr gehört. Das ist ja sehr lange her.»
    Claes saß neben seiner Frau auf der Terrasse und bemühte sich, möglichst wenig zu lügen. Er hatte überhaupt nicht lügen, sondern einfach nur ein wenig auslassen, überspringen wollen. Aber nun war es geschehen. Er lauschte dem Klang seiner Worte nach, als habe sie ein anderer gesprochen, und fand sie dünn. Warum erzählte er ihr nicht einfach die ganze Geschichte? Weil er sich schämte? Nun hatte er noch mehr Grund, sich zu schämen. Es müsste doch ganz leicht sein, einfach den Mund aufzumachen und die Worte herausfließen zu lassen. Natürlich wollte er sie nicht mit diesen uralten Geschichten belasten. Sie waren ja lange vorbei und gingen außer ihn und Gunda niemanden mehr etwas an.
    Dünn, Claes, dachte er, ganz dünn. Und so durchsichtig.
    Er fühlte Ärger aufsteigen, kurioserweise nicht auf sich oder Gunda oder diese dummen Zufälle, sondern auf Anne. Aber warum war sie auch immer so verdammt klug, die richtigen Fragen zu stellen? Warum musste sie überhaupt immer alles so genau wissen?
    Nur den Mund aufmachen und die Worte fließen lassen. Ganz einfach.
    Aber seine Lippen blieben verschlossen. Als ob sie jemand zuhielte. Er sah in den Garten hinaus und spürte doch ihren Blick wie ein prüfendes Tasten. Sie schien meilenweit entfernt.
    Anne sah ihren Mann in der Tat aufmerksam an. Da war es wieder, dieses Gefühl der Fremdheit, dieses Gefühl, ihm nicht wirklich nah zu sein. Er hatte ihr von seinem Besuch in der Palmaille erzählt, von Oswalds Zusammenstoß mit Marburger im Kaffeehaus, und nun, zum Schluss, bemerkte er ganz nebenbei, er habe Madame Stedemühlen früher gekannt. Warum hatte er das nicht gleich erwähnt? Fand er es so unwichtig? Er sah verschlossen und erschöpft aus, vielleicht sollte sie ihn nun nicht weiter fragen, später würde genug Zeit dazu sein.
    Er nahm ihre Hand, die Fremdheit wurde milder, und sie schämte sich für ihr Misstrauen. Natürlich sah er verschlossen aus. Die Ablehnung der Stedemühlens musste seinen Stolz schwer treffen. Umso mehr, als er früher mit der Mutter des Mädchens bekannt gewesen war.
    Ein Zitronenfalter flatterte durch den Garten und setzte sich zart auf den Rand des Springbrunnens. Sie beneidete ihn um seine Leichtigkeit.
    «Sie ist eine strenge Frau geworden und sehr unversöhnlich», murmelte Claes. «Aber wenn Christian Geduld hat, werde ich es schon schaffen …» Er unterbrach sich, als Blohm eilig ums Haus kam.
    «Was ist los, Blohm? Ist dir ein Engel begegnet? Du strahlst ja so.»
    «Herr Claes», rief der Alte mit dem ihm möglichen Höchstmaß an Vertraulichkeit und Freude, «Mademoiselle Rosina ist da.» Selten war den beiden Herrmanns zugleich ein Besuch so gelegen gekommen.
    Obwohl Rosina keinen Grund hatte anzunehmen, man werde sie im Haus der Herrmanns unfreundlich empfangen, war ihr der Weg nicht leichtgefallen. Claes Herrmanns war seit dem letzten April von seiner Abneigung gegen die Komödianten geheilt, aber

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