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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Railway Rest.«
    »Das wird er jeden Samstag, wenn er säuft.«
    »Ja, er hat schon häufiger sehr tief in die Flasche geguckt.«
    Martin hob das Glas, stellte es aber gleich wieder hin.
    »Was zum Teufel meinst du damit?«
    »War nicht so gemeint, Martin, er hat nicht tiefer geguckt als wir auch.«
    »Jetzt hast du es wieder gesagt.«
    »Was?«
    »Er hat. Du sagst er hat , wenn du von Steve redest.«
    Frank lehnte sich ans Geländer. Alle Geräusche kamen näher, der Fluss, die Zweige, das Gras. Es atmete. Es gab eine unsichtbare Welt da draußen, die vielleicht besser war als diese hier. Innerlich fluchte Frank. Er sprach also schon in der Vergangenheit.
    »Es ist dunkel«, sagte er. »Verdammt, ich sehe nicht, was ich sage.«
    Martin brummte leise.
    »Wenn du Steve suchst, er ist zu dir rübergegangen, um dort zu essen.«
    »Das stimmt. Steve war zum Essen bei uns.«
    »Sitzt er im Auto?«
    »Steve ist niedergeschlagen worden, Martin.«
    »Das habe ich gehört. Erzähl mir was Neues.«
    »Es sagt sich nicht so einfach«, setzte Frank an.
    Er verstummte und spürte, dass das Gegenteil der Fall war. Es sagte sich sehr leicht, es war leichter, als sich zu unterhalten, leichter als ein Gespräch, das einfach nur immer weiterlief und zum Schluss dort endete, wo es nichts mehr zu sagen gab. Jetzt hatte er die Herrschaft sowohl über die Worte als auch über die Zeit.
    Martin wurde ungeduldig.
    »Nun sag’s schon. Spuck’s aus, Junge!«
    »Leider ist Steve dieses Mal nicht wieder aufgestanden.«
    »Was soll das heißen? Nicht aufgestanden? Liegt er immer noch da?«
    »Die Sanitäter haben ihn abgeholt.«
    »Liegt Steve im Krankenhaus?«
    Frank trat näher heran.
    »Im Respirator. Im Koma. Es sieht böse aus, Martin. Aber Steve lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Wir müssen …«
    Martin beugte sich vor und unterbrach Frank.
    »Er wird doch wieder aufwachen, nicht wahr?«
    Frank fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Jetzt musste er es sagen. Jetzt würde das Leben auf den Kopf gestellt, und das war, als hätte man einen Stein umgedreht, du ahnst nie, was darunter zum Vorschein kommt.
    »Das weiß niemand. Und ich möchte bei dir auf keinen Fall falsche Hoffnungen wecken, Martin. Aber so viel kann ich sagen: Steve leidet nicht. Die Leiden sind vorbei. Und das sollst du als Trost ansehen. Dass dein Sohn nicht leidet.«
    Martin saß ganz still, während Frank sprach. Dann ließ er sich wieder nach hinten auf den Stuhl fallen.
    »Du sagst, es gibt keine Hoffnung?«
    »Es gibt immer Hoffnung, Martin.«
    »Das ist also der Bescheid, den du überbringst? Dass es immer Hoffnung gibt? Wenn das alles ist, dann sieh lieber zu, dass du zurück zum Rathaus kommst. Verfluchter Übermittler!«
    »Ich weiß, es ist schwer, Martin.«
    »Sag nicht jedes Mal Martin, wenn du nur das Maul aufreißt! Und ich will dir noch eines sagen, Frank. Ich habe dich noch nie gemocht. Du bist immer hinter den anderen hergetrottet. Es fehlt dir an Rückgrat. Und ich bin nicht der Einzige, der dieser Meinung ist.«
    Frank stand schweigend da und musste schlucken, was er hörte. Er musste sich selbst in Erinnerung rufen, dass jeder Mensch anders trauert. Martin Millers Trauer war bockig und boshaft. Er musste nachsichtig sein. Dennoch tat das weh. Dachten die Leute das wirklich von ihm? Dass er kein Rückgrat hatte? Nur hinterhertrottete? Das hatte er nun wirklich nicht verdient. Frank war nicht nur verletzt, er wurde auch wütend. War es nicht immer so gewesen, dass er, Frank Farrelli, den Schlag auffangen musste, war er nicht derjenige, der sich mit dem meisten abzufinden hatte? Er wollte sich nicht mehr damit abfinden und begann zu sprechen, langsam, er hatte viel Zeit.
    »Der Schlag hat seine Nase zertrümmert. Doch das war leider nicht das Schlimmste.«
    Frank schwieg und schaute Martin an. Schatten glitten über dessen zerfurchtes Gesicht hin und her, vom Wind, der an der Laterne hinten an der Ecke zerrte.
    »Was war das Schlimmste, Frank?«
    »Als Steve zu Boden ging, traf er mit dem Kopf auf die Jukebox auf. Sein Gehirn wurde verschoben, genau so, wie Ladung in einem Flugzeug in einer scharfen Kurve auf die andere Seite rutscht, verstehst du? Sollte Steve also gegen alle Vermutungen doch wieder aufwachen, so wird er nicht der Steve sein, den wir mal gekannt haben, Martin. Es tut mir leid.«
    Einen Moment lang glaubte Frank, Martin wäre in seinem Lehnstuhl eingeschlafen, er hätte gar nicht zugehört. Doch plötzlich schaute Martin

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