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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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auf, und gleichzeitig fiel ihm das Glas aus der Hand und rollte über die abschüssige Veranda.
    »Meinst du, er ist nur noch ein lebloses Gemüse?«
    »Ich kann dich ins Krankenhaus bringen.«
    »Und wozu soll das gut sein?«
    »Vielleicht spürt Steve, dass du da bist. Können wir es wissen?«
    »Ja, können wir es wissen? Idiot.«
    Doch zum Schluss kam Martin doch mit. Dort, wo die Straße auf den Fluss traf, in einer Art Kurve, fiel Frank etwas auf. Er ging mit der Geschwindigkeit herunter und zeigte in die Richtung. Auch Martin drehte sich um. Mitten auf dem Fluss trieb ein Segelboot, es war kurz vorm Kentern, wurde von den Strömungen hin und her geworfen, und bald konnten sie nur noch das Segel sehen, eine klaffende weiße Wunde in der Nacht. Dann verschwand auch das.
    Frank war nicht besonders gläubig. Seit dem Tod seines Vaters war er nicht mehr in der Kirche gewesen. Er glaubte auch nicht an Zeichen und Vorahnungen. Ihm reichte das Leben, so wie es war. Doch das hier war unheimlich.
    »Da ist niemand an Bord«, sagte Martin.
    Frank fuhr wieder schneller und bog ab, weg vom Fluss. Martin wurde wieder wütend.
    »Warum hältst du nicht an? Wenn wir Glück gehabt hätten, hätten wir uns eine Wrackprämie holen können.«
    »Und wer hätte die ausbezahlen sollen? Warum fragst du nicht lieber, wer Steve niedergeschlagen hat?«
    »Das ist mir scheißegal.«
    »Wie wäre es mit ein wenig Gerechtigkeit? Ist dir die auch scheißegal?«
    Martin lachte laut. »Gerechtigkeit? Wann ist die dir denn das letzte Mal begegnet? Ach, leck mich doch am Arsch!«
    »Du entscheidest«, sagte Frank.
    »Alle kriegen früher oder später die Hucke voll. So ist es nun mal. Und Steve kann manchmal verdammt nerven.«
    Doch als sie sich dem Krankenhaus näherten, wurde der Ton ein anderer.
    »Aber ich würde gern wissen, was er auf der Jukebox hören wollte«, sagte Martin.
    »B12.«
    Martin lächelte.
    »B12. Lange her, dass ich das gehört habe. Lange her.«
    »Ja, schade, dass er sie nicht in Gang gekriegt hat. Die Jukebox, meine ich. B12 hätte ich auch gern gehört. Solche Songs brauchen wir.«
    »Ich kann mich noch gut daran erinnern, als sie es hier gesungen hat, Ella persönlich. Die Decke hob sich, Frank.«
    »Ich dachte, sie hat in Solvang gesungen?«
    »Sie hat in unserer Kirche gesungen, du Dummkopf. Steve und du, ihr wart gerade erst geboren. Glaub bloß nicht, dass du alles weißt.«
    »Vielleicht sang sie ja an beiden Orten.«
    Martin Miller musste sich mit dem Handrücken über den Augenwinkel fahren und eine Träne wegwischen.
    »An beiden Orten? Keiner kann an beiden Orten singen. Dummkopf.«
    Frank parkte auf dem Bereich für Angehörige, auf dem alle Plätze noch frei waren. Es gab bald keine Angehörigen mehr in Karmack. Wer würde ihn ins Grab geleiten, wenn die Zeit gekommen war? Wenn seine Zeit gekommen war, sein Tod, war die Zeit höchstwahrscheinlich auch für seine Mutter gekommen, schon lange, und wer blieb dann noch? Würde er gezwungen sein, seinen eigenen Sarg zu tragen, wenn die Zeit gekommen war? Frank spürte diese Wut, die gut und beißend zugleich war. Er fühlte sich ganz einfach ungerecht behandelt, und das hatte er nicht verdient. Dann hörte er etwas neben sich. Martin weinte leise und drehte sich weg. Frank sollte die Tränen nicht sehen, die sich eine nach der anderen aus seinen Augen lösten und die Wangen hinunterrannen. Wieder ärgerte Frank sich, dass er kein Taschentuch hatte, oder zumindest Papierservietten, nein, am besten ein Taschentuch, Papierservietten waren nicht gut genug.
    »Übrigens war es Bob, der zugeschlagen hat«, sagte er. »Bob Spencer. Der mit der hässlichen Visage.«
    Im Fahrstuhl hinauf zur Intensivstation ergriff Martin, immer noch mit roten Augen, Franks Hand und drückte sie.
    »Was ich vorhin gesagt habe, das habe ich nicht so gemeint, Frank.«
    »Was denn?«
    »Dass du lieber zusehen sollst, dass du zurück ins Rathaus kommst. Das habe ich nicht so gemeint. Ich habe ziemlich viel Blödsinn geredet.«
    »Ist schon in Ordnung, Martin. Absolut in Ordnung. Wir können einander sagen, was wir wollen.«
    »Du bist ein guter Übermittler, Frank. Das sollst du wissen. Ich bin froh, dass du derjenige warst, der gekommen ist und es mir gesagt hat.«
    Martin ließ seine Hand los und Frank überlegte, ob er Martin fragen sollte, ob er denn das andere, was er gesagt hatte, so gemeint hatte, dass er Frank noch nie gemocht hatte, dass er ein Mitläufer ohne Rückgrat

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