Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
blieb stumm auf der Türschwelle stehen, kratzte sich an einer Tätowierung, die sich um den Arm wand. Frank wusste nicht so recht, was jetzt passieren würde, ob der Kerl zusammenbrechen würde oder ihn davonjagte. Es war der entscheidende Augenblick. Ein Mensch stand auf dem Spiel. Doch nichts von beidem geschah. Arthur Clintstone sprang stattdessen in die Luft.
»Leslie!«, brüllte er. »Leslie! Deine Schwiegermutter ist tot!«
Leslie kam zum Vorschein, eine heruntergekommene Frauensperson, im Morgenmantel oder was auch immer das war, was sie sich umgeworfen hatte.
»Was sagst du, Darling?«
»Ruth ist endlich tot. Rauchvergiftung! Und weißt du, was das bedeutet, Leslie Clintstone?«
Das wusste sie offenbar, denn sie warf sich ihrem Ehemann um den Hals, und bald kamen auch die Kinder wieder zurück, und die ganze Familie feierte Mrs Clintstones Dahinscheiden, eine eher makabre Veranstaltung in Franks Augen. Er musste sich die Worte des Sheriffs ins Gedächtnis rufen, dass die Art der Trauer unvorhersehbar ist. Sie kann auch in Freude umkippen. Und die Freude, der Frank jetzt Zeuge war, schien ganz einfach echt zu sein und von Herzen zu kommen, und daraus machte die Familie keinen Hehl. Sie waren zumindest ehrlich.
Arthur Clintstone wandte sich Frank zu.
»Komm rein und trink ein Bier mit uns, Kumpel!«
»Ich muss noch fahren.«
»Wie schade. Wie heißt du mit Nachnamen, Frank?«
»Farrelli. Frank Farrelli.«
Arthur Clintstone ergriff Franks Hand mit beiden Pranken.
»Frank Farrelli. Ich schulde dir einen Gefallen. Vergiss das nicht.«
Schließlich konnte Frank sich losreißen, ging hinunter zum Auto und fuhr davon. Sollten sie den Todesfall doch ohne ihn feiern. Und er würde Arthur Clintstone niemals um einen Gefallen bitten. Aber da war etwas anderes, das ihn beunruhigte. Das sehe ich, hatte er gesagt. Konnte man ihm wirklich ansehen, dass er mit schlechten Nachrichten kam. In dem Fall musste er daran arbeiten. Er wollte einer von vielen sein, ein Handelsvertreter, ein entfernter Verwandter, ein neuer Nachbar oder einfach ein Fremder, der nach dem Weg fragte. Dann wollte er langsam aber sicher den Grund seines Besuches aufdecken. Er brachte Todesfälle, Zerstückelungen und Krankheiten mit sich. All das musste er sich notieren, wenn er zurück im Büro war. Im Grunde genommen gefiel Frank der Gedanke, dass eines Tages irgendjemand seine Protokolle lesen würde.
Als Frank dreizehn wurde, bekam er von seinem Vater einen Goldfisch und ein Goldfischglas. Er hatte sich schon lange ein Haustier gewünscht, war aber im Zweifel, ob ein Goldfisch als solches angesehen werden konnte. Sicher hatte der Vater ihn billig von einem Handelsreisenden bekommen, der sein Handschuhfach als Aquarium benutzt hatte. Und mit dem brauchst du nicht Gassi zu gehen, lachte der Vater, der im gleichen Herbst gleich da draußen im Garten starb. Es war nicht zu glauben. Er fiel von der Leiter und traf auf eine Sense. Frank stand dabei und sah alles. Letztendlich freute er sich doch über den Goldfisch und benannte ihn nach Mark Spitz, dem Schwimmer, der während der Olympiade 1972 in München sieben Goldmedaillen gewann. Jetzt wurde Mark schon bald 22 Jahre. Das war viel für einen Goldfisch. Es war nicht ausgeschlossen, dass es sich sogar um einen Rekord handelte. Und das war Franks Verdienst. Er vergaß nie, Mark zu füttern oder das Glas zu reinigen. Er behauptete, dass Mark ihn wiedererkannte, wenn er sich über ihn beugte und sein Gesicht aufs Glas presste. Jedenfalls kam Mark dann angeschwommen und stieß von seiner Seite der Kugel gegen das Glas. Franks Mutter hatte nicht viel übrig für den Goldfisch. Er erinnerte sie zu sehr an den Vater, was immer das auch bedeuten mochte.
Frank war auf dem Weg ins Krankenhaus, um Steve zu besuchen. Deshalb diese Erinnerungen. Denn Steve war an dem Geburtstag zu Besuch gewesen. Er war der Einzige, der kam, denn Frank hatte mitten im Sommer Geburtstag, und damals, als die Zeiten noch gut waren, fuhren die meisten im Juli weg, bis auf Steve und Frank, denn deren Väter meinten, es gäbe keinen Grund, aus Karmack wegzufahren. Hier gab es doch alles, und alles hatten sie allein für sich. Steve meinte übrigens, dass man auch gut mit einem Goldfisch spazieren gehen konnte. Man musste ihm nur ein Band an die Schwanzflosse binden und ihn in den Fluss lassen. Steve kam dabei sogar auf einen neuen Witz, den er immer wieder von sich geben musste. Du gehst nicht Gassi mit ihm, Frank, du gehst
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