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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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weißes.
    Frank und Blenda aßen weiterhin bei Smith’s Diner. Meistens lud er sie zum Essen ein, aber ebenso oft war sie diejenige, die andeutete, dass sie gut mal wieder ausgehen konnten, sie hätte zumindest nichts dagegen. Er auch nicht. So brauchte es keinem von beiden peinlich zu sein. Außerdem gab es keine anderen Gäste als sie bei Smith’s Diner, und es wäre gemein, an einen anderen Ort zu gehen. Übrigens gab es keinen anderen Ort, abgesehen vom Railway Rest, und darauf hatte keiner von beiden Lust. Sie begannen Gewohnheiten zu entwickeln. Frank trank Bier, während Blenda Wein vorzog. Anschließend konnte Sally Kaffee auf Kosten des Hauses servieren und sich zu ihnen setzen und ihnen die neuesten Neuigkeiten erzählen, und die neuesten Neuigkeiten waren meistens alte Neuigkeiten in Karmack, aber auch die waren ihnen lieb und teuer. Sie sprachen über die guten alten Zeiten, die immer weiter in die Vergangenheit zu rücken schienen, als hätte sie jemand einfach erfunden, als wären sie etwas, das die Bevölkerung nur geträumt hatte. Als sie auf die Unfälle zu sprechen kamen, besonders auf die Mädchen, die die Schienen entlanggelaufen waren, hielt Frank wohlweislich den Mund, auch wenn er innerlich darauf brannte zu sagen, was er wusste. Dass es eben kein Unfall gewesen war. Stattdessen ließ er es in sich brennen. Außerdem vergaß er nicht, was Blenda am ersten Abend gesagt hatte, dass sie keinen Mann haben wollte, der seinen Job mit nach Hause brachte, und er nahm an, dass das auch für Smith’s Diner galt. Blenda ihrerseits hatte keine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschrieben und plapperte munter über Leute, die im Rathaus anriefen und über alles Mögliche klagten, das Wasser im Wasserhahn war braun, warum wurden die Straßenlaternen abends nicht eingeschaltet – besonders diejenigen, die abends nie hinausgingen, beschwerten sich über dunkle Straßen, das sollte einer verstehen, sagte Blenda. Selbst über die Eisenbahngesellschaft beklagten sich die Leute. Wenn der Zug, der nicht mehr hier hielt, eine oder zwei Minuten verspätet war, riefen sie im Rathaus an und forderten eine Erklärung. Frank sah sie vor sich, diese verfluchten Streithammel, die den Zug beobachteten, der nicht mehr nach Fahrplan fuhr. Was für ein Mist. Und er dachte, wenn dieser ebenso verfluchte Zug, der die Leute in Karmack noch verlassener zurückließ, an diesem Abend, der noch nicht so lange her war, nicht pünktlich gewesen wäre, dann wäre Marion noch bei Bewusstsein und Veronica am Leben. Eine Verspätung hätte Leben retten können. Machte das nicht alles andere noch sinnloser?
    »Hast du Blumen an den Eisenbahngleisen hingelegt?«, fragte Blenda. »Da, wo die Mädchen …«
    »Das gefällt mir nicht.«
    »Was gefällt dir nicht, Frank?«
    »Es gefällt mir nicht, wenn Leute so einen Ort schmücken. Ich weiß nicht. Ich finde das nicht in Ordnung.«
    »Aber wir schmücken doch auch auf dem Friedhof.«
    »Das ist nicht das Gleiche. Die Mädchen sind nicht an der Bahnstrecke beerdigt. Außerdem ist es nicht gut, massenweise Menschen dorthin zu locken.«
    »Wie konnten sie nur so dumm sein, auf den Schienen entlangzugehen? In der Dunkelheit! Ich begreife es einfach nicht. Es waren doch ordentliche Mädchen. Oder?«
    »Die Leute tun vieles, was wir nicht begreifen. Auch wenn sie ordentlich sind.«
    »Aber haben sie denn nicht gewusst, dass genau zu dem Zeitpunkt der Zug durchfährt?«
    Frank zögerte. Es war schwer. Er hätte es so gern erzählt. Und dann konnte er nicht mehr an sich halten.
    »Vielleicht haben sie es ja.«
    »Was haben sie?«
    »Was sie haben? Hast du nicht gesagt, dass du keinen Mann haben willst, der seinen Job mit nach Hause bringt?«
    »Wir sind hier bei Smith’s Diner, Frank. Hier kannst du es erzählen.«
    »Dräng mich nicht. Bitte.«
    Blenda zündete sich eine Zigarette an und blies Ringe aus, die sich auf das Neonlicht fädelten. Frank rührte in seiner Kaffeetasse um. Sally stand am Tresen und strich weitere Gerichte von der Speisekarte.
    »Ihr streitet euch doch wohl nicht, ihr Turteltauben?«, fragte sie.
    Blenda lachte. Jetzt war es Frank, der sich über den Tisch lehnte.
    »Vielleicht haben sie es gewusst. Und sind deshalb dort entlanggegangen.«
    Sie wurden von einem neuen Gast unterbrochen, Bob Spencer. Er sah elend aus. Die Narben und die Poren in seiner fahlen Visage hatten sich geöffnet, und die Augen klebten zwischen den Hautfalten fest, er sah aus wie ein Bastard. Das

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