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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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bringst das Unglück mit. Alle sagen das. Dass du das Unglück nur so anziehst. Hörst du, du kleiner Scheißhaufen!«
    Endlich gelang es Sally, Bob das letzte Stück hinaus in die nassen, dunklen Straßen zu bugsieren und die Tür zu schließen. Dann setzte sie sich zu Blenda und Frank.
    »Sorry, folks. Ich hätte ihn gar nicht erst reinlassen dürfen.«
    »Das macht nichts«, sagte Blenda.
    Frank war beleidigt. Was wusste sie davon, dass es nichts machte? Dass es nichts machte, dass Bob Spencer hier stand, ihn und Steve verhöhnte und beschimpfte? Es machte etwas. Es machte tatsächlich verdammt viel, und was am meisten machte, waren Bob Spencers Andeutungen dahingehend, dass er etwas mit Blenda zu tun hatte.
    »Jetzt gehen wir nach Hause«, sagte sie.
    Schweigend gingen sie unter den dunklen Straßenlaternen entlang. Der Wind brachte einen Hauch von Benzin mit sich. Frank war düsteren Gemüts. Er konnte die Frage nicht zurückhalten.
    »Kennst du Bob Spencer?«
    »Ich habe ihn gekannt.«
    »Wie gut?«
    »Wie gut? Warum fragst du das?«
    »Ich habe nur gefragt. Wie gut?«
    »Frank. Vergiss es.«
    »Was soll ich vergessen?«
    »Dass ich ihn gekannt habe.«
    »So ist das also? Ich soll das vergessen.«
    »Hast du niemanden vor uns gekannt?«
    »Vor uns?«
    »Ja, bevor wir uns kennengelernt haben.«
    Sie sagten nichts mehr, bis sie in ihrer Straße angekommen waren, blieben dort zögernd stehen. Eine weitere Scheibe im Kino war zerbrochen. Ein altes Plakat lag auf dem Bürgersteig. Das ist Vergangenheit, dachte Frank. Die Vergangenheit hat uns eingeholt. Die Vergangenheit krallte sich fest und ließ nicht los. Aber es ging nicht um Erinnerungen, solche, die er mit Steve teilen konnte und die bald verflogen sein würden, wenn auch Steve fort war. Es ging um die Vergangenheit anderer, um Bob Spencers Vergangenheit, Blendas Vergangenheit, die wurde er nicht los.
    »Glaubst du, das Majestic wird irgendwann wieder öffnen?«, fragte sie.
    »Weiß nicht.«
    »Wäre doch schön, zusammen ins Kino gehen zu können.«
    »Findest du?«
    »Findest du nicht?«
    »Warst du mit Bob Spencer im Kino?«
    »Kannst du nicht aufhören, von ihm zu reden. Er bedeutet mir nichts.«
    »Dann hat er dir also einmal etwas bedeutet?«
    »Bitte, du nicht auch noch, Frank.«
    »Was?«
    »Fang nicht so an.«
    Wieder verstummten sie. Der Wind drehte sich und brachte einen kalten Hauch vom Fluss mit.
    »In Ordnung«, sagte Frank.
    »Kommst du mit rauf?«
    »Ich muss bis morgen noch was am Auto reparieren.«
    »In Ordnung.«
    Frank ging den Bürgersteig entlang. Ja, so war es also. Die Vergangenheit hatte sich zwischen sie gestellt, nicht seine, sondern ihre, die Vergangenheit aller anderen.
    »Ich mag dein Hemd!«, rief Blenda.
    Frank blieb stehen, nicht zu plötzlich, sondern Schritt für Schritt, und im Laufe der Zeit, die das dauerte, fasste er einen Entschluss. Er wollte die Vergangenheit verwerfen, sowohl ihre, als auch seine und die aller anderen Drecksäcke. Er wollte sie ganz einfach begraben. Die Vergangenheit kam so oder so zu spät. Er wiederholte es stumm: Die Vergangenheit kommt zu spät. Sie wurde nicht mehr gebraucht. Und jetzt, nachdem das erst einmal geklärt war, konnten sie genauso gut über die Zukunft reden, die schon verzwickt genug war, auch ohne den gestrigen Tag im Schlepptau. Sie mag mein Hemd, dachte Frank. Das reicht. Er drehte sich um und ging zu ihr zurück.
    Die Fahnen wehten auf halbmast. Unten an den Bahngleisen lag ein Berg von Blumen und Grüßen. Nachdem die Jugendlichen angefangen hatten, dort auch nachts zu sitzen, Hand in Hand in einem Kreis brennender Kerzen, sah sich der Sheriff gezwungen, eine Warnung herauszugeben. Es näherte sich einer Art Hysterie. Die Jugendlichen putschten einander gegenseitig auf. Die Trauer wurde zu einem Rausch, solange sie anhielt, und wenn er vorbei war, dann war es der Tod, der lockte. Der Tod konnte sie reinwaschen. Der Sheriff fürchtete sich vor dem, was diese selbstgerechten, romantischen Jugendlichen, verblendet von Tod, Poesie und Gerüchten, aushecken konnten. Habe ich es nicht gesagt, dachte Frank. Die Mädchen wussten, was sie taten, als sie nachts auf den Gleisen entlangliefen. Übrigens fand er es unpassend, dort Blumen hinzulegen. Man soll einen Tatort nicht schmücken. Zusammen mit Blenda ging er in die Kirche, die an diesem Freitag, dem ersten im November, voll besetzt war. Leute, die sich lange nicht gesehen hatten, unterhielten sich miteinander. Neue Verabredungen

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