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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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mehr dort. Frank Farrelli erbte das Haus, das Grundstück, den Plattenspieler und Steve. Frank wurde wütend. Er wollte nichts erben. Martin wollte ihn damit nur ärgern, deshalb hatte er ihm einfach alles aufgebürdet. Einen Moment lang war Frank ziemlich sicher, dass Steve grinsend dalag und sich einen Witz ausdachte, über den ganz Karmack in Lachen ausbrechen würde, denn hoben sich nicht die Mundwinkel zwischen all den Kabeln? Steve, sagte Frank. Hörst du mich? Doch er erhielt keine Antwort. Er nahm den Plattenspieler und Blue Skies unter den Arm, ließ Steve liegen, ging zum Auto und fuhr heim. In der Küche saßen seine Mutter und Blenda, beide noch in Schwarz, sie tranken Kaffee und unterhielten sich. Frank blieb stehen. Er hatte sie nicht eingeladen. Mutter hatte sie eingeladen. Das erste Mal, dass Blenda zu ihm ins Haus kam, war er also selbst nicht daheim gewesen.
    »Was hast du da?«, fragte seine Mutter.
    »Einen Plattenspieler.«
    »Das sehe ich. Hast du ihn gekauft?«
    »Ich habe ihn geerbt.«
    Frank stellte den Plattenspieler auf den Herd und setzte sich, nicht an den Tisch, sondern auf den Stuhl am Fenster.
    »Geerbt? Von wem?«
    »Von Martin.«
    »Ist Martin tot?«
    »Das muss er wohl. Wenn ich seinen Plattenspieler geerbt habe.«
    »Hast du noch mehr geerbt?«
    »Das kannst du dir wohl denken.«
    »Rede nicht so mit mir, wenn Blenda hier ist.«
    »Wenn Blenda nicht hier wäre, könnte ich also so mit dir reden?«
    Blenda stand auf und nahm ihre Tasche, die über der Stuhllehne hing.
    »Das mit Martin tut mir leid, Frank.«
    »Du musst nicht gehen.«
    Sie zögerte kurz, setzte sich dann wieder hin.
    »Wir haben auf dich gewartet«, sagte sie.
    Es standen drei Tassen auf dem Tisch. Die Mutter schenkte Kaffee ein und brachte ihn ihm. Der Kaffee war lauwarm. Es war fast fünf Uhr. Frank musste Mark vor halb sechs Uhr füttern.
    »Ich habe die Tankstelle und den Hof geerbt«, sagte er.
    Die Mutter blieb schweigend stehen, wartete auf mehr.
    »Vielleicht ziehe ich dort ein, setze mich auf die Veranda und werde Bauer.«
    »Steve ist noch nicht einmal tot. Pass auf, was du da sagst.«
    »Den habe ich übrigens auch geerbt.«
    An dem Tag, als Martins Asche über den Fluss gestreut werden sollte, kam der Winter. Sie standen frierend unten am Ufer. Der Pfarrer öffnete einen kleinen Koffer mit der Urne und gab sie Frank. Der schraubte den Deckel ab. Wie wirft man Asche fort, die Asche eines Menschen? Er konnte sie ja nicht so einfach auskippen. Dann würde alles im Ufermatsch landen, im schlimmsten Fall auf seinen Schuhen. Er musste so nahe wie möglich ans Wasser gehen, die Urne mit beiden Händen halten und Schwung holen. Er bereute schon, dass er die guten Schuhe angezogen hatte. Es war fast unmöglich, Halt zu finden. Blenda zog sich zurück und hielt ein Taschentuch vor Mund und Nase. Der Pfarrer murmelte irgendwelche unzusammenhängenden Worte, die niemand interessierten, und bekreuzigte sich. Seit Veronica Mills’ Beerdigung war er nicht mehr der Alte. Der Sheriff stand mit der dicken Fellmütze in den Händen da, drehte sie, während der Arzt aufs Wetter schaute, er wirkte abwesend und unberührt. Frank war kurz davor, die Urne fallen zu lassen. Seine Finger waren verfroren und ungeschickt. Martin hatte es ihnen nicht leicht gemacht. Wer konnte einem am meisten leid tun? Am meisten konnte Frank Farrelli einem leid tun. Es sind nicht die Toten, die einem leid tun müssen. Die Toten wissen nichts. Die Toten haben bereits alles vergessen. Frank schwenkte die Urne wieder herum.
    »Warte«, rief der Arzt.
    »Was ist denn?«
    »Warte, bis der Wind sich dreht. Sonst kriegst du den ganzen Martin auf dich.«
    Frank stellte die Urne ab, er hatte die ganze Geschichte so satt. Hätte Martin nicht darauf verzichten können, diesen verdammten Brief zu schreiben? Wozu sollte das gut sein? Konnten sie nicht trotz allem in Ruhe überleben? Und der Wind wollte sich auch nicht drehen. Er kam aus dem Westen und hämmerte sich auf ihren Gesichtern fest. Frank war derjenige, der sich drehen musste, nicht der Wind.
    »Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass das eigentlich gesetzlich nicht erlaubt ist«, sagte der Sheriff. »Damit das ein für allemal gesagt ist.«
    Der Arzt lachte.
    »Gesetzlich nicht erlaubt? Wo steht das?«
    »Es gibt gewisse Vorschriften vom Naturschutzamt.«
    »Ist Martin Millers Asche etwa keine Natur?«
    »Stell dir nur vor, wie das wäre, wenn das alle täten?«
    »Aber das tun nicht alle.

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