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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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eine gute Stütze. Ja. Wirklich. Eine gute Stütze.«
    »Ach ja? Und wieso?«
    »Es ist gut zu wissen, dass …«
    Mr Perkins unterbrach ihn.
    »Aber Marion weiß das nicht. Sie weiß nicht, ob da nun meine Frau sitzt oder eine Putzfrau oder der Präsident.«
    »Dessen sollte man nicht so sicher sein.«
    »Nein? Wissen Sie, was meine Frau sagt? Jeden Tag behauptet sie, dass Marion ihr Augenlid bewegt.«
    »Aber das ist ja nicht ausgeschlossen. Martin Miller hat das auch gemeint. Von Steve. Seinem Sohn.«
    »Aber verstehen Sie, unsere Tochter hat gar kein Gesicht. Es ist vom Zug weggekratzt worden. Die Augenlider auch. Es ist nur ein Traum.«
    Die Türen öffneten sich. Frank und Blenda traten hinaus. Mr Perkins blieb stehen. Die Türen glitten wieder zu, doch Frank gelang es, seinen Fuß dazwischen zu setzen, und im letzten Moment öffneten sie sich wieder. Mr Perkins stand immer noch da. Frank konnte seine Einsamkeit sehen, deutlich wie einen Anzug.
    »Wir sind im zweiten Stock«, sagte Frank.
    »Ja und?«
    »Ich glaube, Sie sollten hier aussteigen.«
    Mr Perkins drückte auf den Knopf, die Türen schlossen sich, und der Fahrstuhl fuhr wieder hinunter. Frank wäre selbst am liebsten auch umgekehrt. Doch ganz gleich, wie weit er führe, nie würde er den Gedanken an Steve loswerden. Blenda nahm seine Hand, und zusammen gingen sie zu Steves Zimmer. Eine Krankenschwester ließ sie hinein. Frank zog einen Stuhl näher ans Bett und setzte sich, während Blenda im Hintergrund stehen blieb. Es hätte jeder x-Beliebige im Bett liegen können. Aber es war nicht ein x-Beliebiger. Es war Steve, sein Kumpel, der Scherzkeks, das, was noch von ihm übrig war, dieser aufgedunsene Körper und Franks Erinnerungen. Frank begann zu sprechen.
    »Wir haben heute Martin beerdigt, Steve. Nun ja, nicht direkt. Wir haben seine Asche über den Fluss gestreut. Genau wie er es sich gewünscht hat. Er war derjenige, der darum gebeten hatte. Dass wir seine Asche über den Fluss streuen sollen. Aber ich weiß nicht so recht, was ich mit dir machen soll, Steve. Ich wünschte, du würdest mir ein bisschen helfen.«
    Frank fand keine weiteren Worte. Blenda trat neben ihn.
    »Das ist schön«, sagte sie, »mach weiter.«
    Er beugte sich näher übers Bett. Steve hatte Risse in beiden Mundwinkeln. Auf dem Nachttisch lag eine Tube. Frank schraubte den Verschluss ab, drückte ein wenig Salbe heraus und cremte vorsichtig die gerissenen Lippen ein. Er hatte seinen Kumpel noch nie zuvor so angefasst. Er hatte gedacht, es wäre eklig, aber das war es nicht. Es war schön. Schön, das war Blendas Wort. Jetzt war es auch seins. Das war schön. Er war von all dem verwirrt. Und plötzlich meinte Frank etwas zu sehen, eine Bewegung. Er zog die Hand zurück.
    »Hast du das gesehen?«
    »Nein. Was?«
    »Steve hat mit dem Augenlid gezuckt.«
    »Ich habe es nicht gesehen.«
    »Doch, das hat er. Ich schwöre.«
    »Aber ich habe es nicht gesehen, Frank. Ich kann nicht lügen und behaupten, ich hätte es gesehen.«
    »Du stehst zu weit weg.«
    Sie setzte sich auf seinen Schoß.
    »Er hat mit dem Augenlid gezuckt«, wiederholte Frank. »Ich schwöre es!«
    Auf dem Rückweg war er ganz verzweifelt. Er hatte angenommen, er würde sich freuen, würde eine Art Erleichterung darüber spüren, dass Steve ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Doch das Gegenteil war der Fall. Es machte alles nur noch schwieriger. Diese hoffnungslose Hoffnung. Er parkte vorm Rathaus, und sie gingen jeder an seinen Platz. Frank schrieb ins Protokoll: Unglücke pflanzen sich fort.
    Der Arzt, der Sheriff und der Pfarrer waren zugegen, als Frank Steve Millers Respirator abschaltete. Sie unterstützten Frank voll und ganz. Es war das einzig Richtige. Der Arzt war sich ganz sicher. Steve würde nie wieder aufwachen. Der Sheriff war sich genauso sicher. So dazuliegen, das war das Letzte, was Steve gewollt hätte. Eines Mannes nicht würdig. Es hieß, den Tod zu verlängern, nicht das Leben. Frank hatte die richtige Entscheidung getroffen. Dafür verdiente er Respekt. Der Pfarrer murmelte etwas von Gottes Willen, dass es Gottes Wille sei, wir waren nur Werkzeuge in Gottes Händen, aber er sagte nichts darüber, wie diese Werkzeuge funktionierten, waren wir, also die Menschen, ein gutes oder ein schlechtes Werkzeug? Es hatte keinen Sinn zu fragen. Der Pfarrer lief Gefahr, sich nicht mehr kontrollieren zu können. Aber es war Frank Farrelli, der abschalten musste. Er und niemand sonst. Es war sein

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