Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
und kam näher.
    »Gibst du gleich nach dem ersten Versuch auf?«
    »Ich gebe nicht auf. Weil ich noch gar nicht angefangen habe.«
    »Beim ersten Mal habe ich es auch nicht geschafft. Das Vorfach ist hinten beim Bus gelandet, der gerade abbiegen wollte.«
    »Hast du was gefangen?«
    Iver gab mir lachend die Konservendose zurück.
    »Versuch es mit etwas weniger Schwung. Drei Runden. Und lass los, gleich nachdem du den Arm gestreckt hast.«
    Ich tat, wie er mir gesagt hatte. Es ging etwas besser als beim ersten Mal, nicht, dass es nun der weiteste Wurf mit einer Konservendose in der Geschichte von Nesodden war, aber zumindest landete der Haken so weit draußen im Fjord, dass er eine Makrele hätte treffen können, zumindest einen Merlan. Iver schlug mir auf den Rücken.
    »Prima! Klasse! Lass den Haken sinken, während du bis zehn zählst. Dann kannst du langsam die Schnur einholen. Und du musst nicht so furchtbar schnell zählen!«
    Mich ergriff ein sonderbares, umgekehrtes Gefühl. Schließlich war ich hergekommen, um Iver Malt gegenüber nett zu sein, und jetzt war er derjenige, der nett zu mir war. Ich glaube, das gefiel mir nicht. Aber ich tat immer noch alles, was er sagte. Zu meiner eigenen Verwunderung musste ich außerdem einräumen, dass an den Bewegungen des Hakens da unten in der Tiefe etwas Besonderes war, winzig kleine Schwingungen, die sich die Leine entlang fortpflanzten, dann weiter in die Hand, den Arm hinauf und in der Ohrmuschel wie ein Lied endeten, nein, nur wie ein Ton, der noch lange anhielt, nachdem der Sommer vorbei war.
    »Noch einmal«, sagte Iver.
    »Die Fähre kommt.«
    »Ist doch egal. Wirf die Leine aus.«
    »Außerdem kommen Leute.«
    »Ja und? Scheiß auf die Leute.«
    Zum dritten Mal tat ich, was Iver sagte. Ich schiss auf die Leute. Es war mir scheißegal, ob diejenigen, die aus dem Bus stiegen, um in die Stadt zu fahren, sahen, dass ich mich lächerlich machte. Ich fing bereits an zu reden und zu denken wie Iver Malt. So einfach ist das mit mir. Ich hatte sogar vergessen, dass mein Vater nicht mit der Fähre kam. Ich entschied mich zu einem größeren Schwung, drei Runden, das heißt, dreieinhalb, und genau im richtigen Moment, kurz nachdem der Arm ganz gestreckt war, ließ ich die Schnur los und wusste im gleichen Augenblick, dass es ein ziemlich guter Wurf war, vielleicht sogar mehr als ziemlich gut. Der Haken flog in einem eleganten Bogen, nicht zu hoch, denn es war ja nicht der Himmel, in dem angebissen werden soll, während die Schnur sich in rasender Fahrt von der Dose abwickelte, bis nicht einmal mehr ein Meter übrig war und ich schon fürchtete, dass das ganze Ding reißen könnte. Aber da war es endlich genug, und ich hörte nicht einmal, wie der Haken aufs Wasser auftraf.
    »Oh Scheiße«, sagte Iver, »du bist echt gut!«
    Ich zählte nicht bis zehn, sondern bis fünfzehn. Dann holte ich die Leine so langsam ein, wie ich nur konnte. Die Nesodden-Fähre näherte sich, aber es war noch genügend Zeit. Einen Moment lang konnte ich schwören, dass ich in Iver Malts Welt war. Plötzlich gab es einen Ruck. Ich holte die Leine schneller ein.
    »Ganz ruhig«, sagte Iver.
    Ich war nicht ganz ruhig. Denn jetzt spürte ich etwas Schweres, Störrisches da unten dagegenarbeiten, etwas, das größere Kräfte besaß als ich. Die Leine war stramm gespannt und schnitt mir in die Finger. Ich war nicht mehr derjenige, der zog. Ich wurde gezogen.
    »Ich hab ihn!«, rief ich. »Ich hab ihn!«
    »Ja, du hast Grund.«
    »Grund?«
    »Zieh und lass dann locker. Dann löst er sich.«
    Die Leute, die in die Stadt wollten, stellten sich um uns herum, denn sie glaubten sicher, dass ich mindestens einen Delphin an der Leine hatte. Es waren nicht viele, aber als sich einige hinter uns gestellt hatten, wurden es immer mehr. Ich wollte, dass Iver die Dose übernahm, aber der stand nur barfuß mit der lächerlichen Baseballkappe da und tat, als hätte er mit der ganzen Angelegenheit gar nichts zu tun. Also zog ich und ließ locker, zog und ließ locker. Langsam aber sicher gab es nach. Was übrigens ein wunderbares Gefühl war. Als würde man eine schwere Last los, ja, mehr als das, es war, als würde alles klar und deutlich werden. Aber immer noch hing da etwas fest. Ich hatte etwas am Haken, das sich mysteriös verhielt. Die Pappnasen rückten immer näher und beugten sich über den Rand des Anlegers. War es ein Tintenfisch? Ich sah unten im Wasser einen Schatten. Der war nicht klein. Ich zog, was

Weitere Kostenlose Bücher