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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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schnell zu ihm hinüber. Ihn kümmerte das offenbar gar nicht. Er war mit seinen Dingen beschäftigt, in seine eigene Welt versunken, und jetzt war da kein Platz mehr für mich, und meine eigene Welt war eng wie ein Schlafsack.
    »Kommste mit auf ein Bier, Chaplin? Du bist doch jetzt groß genug dafür, oder?«
    Noch mehr Gelächter, es gab einfach keine Grenzen dafür, wie viel Gelächter sie produzieren konnten.
    »Vielleicht ein andermal.«
    »Vielleicht ein andermal? Bin mir nicht sicher, dass es ein andermal geben wird. Überleg’s dir gut.«
    Sie machten sich auf den Weg hinauf und hatten schon jeder ein Bier geöffnet. Was wohl der Amtsrichter dazu sagen würde? Das konnte lebenslängliches Rasenmähen nach sich ziehen. Lisbeth und das neue Mädchen gingen hinterher. Sie trug abgewetzte Jeans und einen weißen Pullover. Ihr Haar war schwarz und reichte bis über den Rücken. Die Schultern waren ziemlich breit. Sie benutzte keinen Gürtel, nur einen dünnen Strick, den sie sich um die Taille geknotet hatte. Kurz vor der Kurve wurde sie langsamer, hob das Haar hoch und band es mit einem Gummi zusammen, einem roten Gummiband, so dass der Nacken sichtbar wurde, der war lang, golden, und die Art, wie das Licht genau auf ihn fiel, ließ mich die feinen Härchen auf der Haut sehen, die sich zur Seite zu legen schienen, wenn eine Windböe kam. Ich schaute ihr lange hinterher. Sie drehte sich nicht um.
    Iver Malt nahm das Treibgut unter den Arm und schüttelte nur den Kopf.
    »Ich kapier’s nicht, dass du mit diesen Mistkerlen überhaupt redest«, sagte er.

6
    A uf der Straße, in der wir wohnten, ich meine in der Stadt, fuhr der Trolleybus. Er kam von Skillebekk, hielt amKrankenhaus gleich oberhalb von uns, ließ Leute aussteigen, ließ Leute einsteigen, jedes Mal ungefähr gleich viele, wie ich ausgerechnet hatte, wendete und fuhr den gleichen Weg wieder zurück. Ich wusste nicht, wo die andere Endstation war. Ich war nie dort gewesen. Ich nehme an, dass diejenigen, die an der anderen Endstation wohnten, auch keine Ahnung hatten, wo ich mich befand. Ein Trolleybus brauchte übrigens Strom, kein Benzin, und deshalb hatte er diesen Mast auf dem Dach, und diese schrägen Masten standen in Verbindung mit stromführenden Leitungen, die kreuz und quer über die Stadt gespannt waren. Die Kabel auf der Bürgersteigseite waren negativ, während die anderen, die zur Straße hin, positiv waren. Sonst wäre der Trolleybus nicht vom Fleck gekommen. Und was, wenn ein Auto im Weg stand? Konnte ein Bus, der auf Gedeih und Verderb an die Oberleitung gebunden war, ausweichen? Ja, er konnte, und zwar bis zu dreieinhalb Meter, das musste reichen, wie Vater meinte. Die Straßen sind ja wohl sowieso kaum breiter. Aber was, wenn eine Straße auf seiner Route gesperrt war, beispielsweise wegen Straßenbauarbeiten oder einem Unfall? Für solche Fälle hatte der Trolleybus ein Notstromaggregat und konnte somit Umleitungen ohne Stromverbindung fahren. Es war übrigens mein Vater, der mich in die Geheimnisse des Trolleybusses einweihte. Dass einige das Kabelnetz hässlich fanden, besonders in feineren Gegenden, schob er einfach beiseite. Sollten wir etwa nicht sehen dürfen, wie die Welt funktioniert? Schlimmer war eher, dass der Trolleybus so leise fuhr und man ziemlich leicht von ihm überfahren werden konnte.
    Aber das war es eigentlich nicht, was mich beschäftigte, wenn es um die Geheimnisse der Trolleybusse ging, vielleicht abgesehen von der Frage des Überfahrenwerdens, es ging vielmehr darum, dass an bestimmten Punkten die Stromkabel von Trossen gehalten wurden, die an einigen Höfen entlang der Fahrroute befestigt waren. Wie bei uns. Nachts, wenn ich nicht schlafen konnte, war mir, als könnte ich leise Stimmen hören, Lachen, Weinen, das Geräusch von Wechselgeld und Schweigen. Lange Zeit glaubte ich, alles fände nur in meinem eigenen Kopf statt, bis mir klar wurde, dass diese Geräusche natürlich von den Trossen kamen, die an der Wand befestigt waren, direkt vor meinem Fenster. Ich war mit Menschen verbunden, von denen ich nichts wusste, Fahrgästen, die vorbeifuhren, mit ihren Krankheiten und ihrem Wechselgeld, ihren Geheimnissen und Genesungen, und wenn der letzte Trolleybus vorüber war, konnte ich sie immer noch hören, ein Echo hing in der Luft, eine verspätete Erinnerung. Sie wollten etwas von mir, diese Fahrgäste. Sie wollten, dass ich von ihnen erzählte.
    Ich wurde von Mutter geweckt.
    »Willst du heute gar nicht mehr

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