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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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das Zeug hielt. Es war ein Kinderwagen. Verdammter Mist, es war das verrostete Gestell eines blöden Kinderwagens, in Algen, Seetang, Muscheln und zähe Quallen eingewickelt. Die prächtigen Pappnasen lachten herzlich und applaudierten. Verdammter Scheißdreck, sagte ich. Die Vorstellung war vorbei. Iver half mir, den Fang herauszuholen und löste den Haken vom Hinterrad.
    »Saustark«, sagte er.
    »Saustark? Was ist hier saustark? Der Mist hier?«
    »Gestern hatte ich ein Fahrrad.«
    »Ich dachte, du würdest Fische angeln.«
    »Das auch. Aber mein Vater kann alles gebrauchen.«
    Iver hockte sich hin und fing an, den Dreck von dem Fang abzupflücken. In dem Moment legte die Fähre an, nicht die Prinsen, sondern die Bunnefjorden, der schlimmste Kahn in diesem Fahrwasser. Nur wenige stiegen aus, die meisten waren ja gestern gekommen. Der Kapitän, der Mann mit dem Zählwerk und der Uniform, stand wieder an der Reling und half denen, die Hilfe brauchten. Er stand an Bord aller Schiffe, die zwischen Utstikker B und Nesodden fuhren. Jemand behauptete sogar, er hätte ihn an Bord der Prinsen gesehen, während er zur gleichen Zeit Passagiere zählte, die in Oksvald an Land gingen. Übrigens war mein Vater nicht mit an Bord. Das hatte ich ganz vergessen, ich hatte meine eigene Lüge vergessen, bis Iver mich daran erinnerte.
    »Kommt dein Vater doch nicht?«, fragte er.
    »Mein Vater? Der kommt nicht vor Samstag.«
    Iver grinste nur und sagte nichts mehr. Was mir sofort peinlich war. Ich war durchschaut. Das nächste Mal, wenn ich lügen wollte, würde ich mir einen Notizzettel schreiben. Übrigens polterte als Letztes die Dreierbande die Gangway hinunter. Ich kann mich nicht mehr an ihre Namen erinnern, und es spielt hier auch keine Rolle. Ich kann sie nennen, wie ich will. Habe ich übrigens schon erwähnt, dass mich niemand grüßte? Nun, das entspricht nicht ganz der Wahrheit, aber es gelten auch nicht alle Grüße. Die Dreierbande zählte nicht, nicht in meinen Augen. Die drei hatten immer Hintergedanken, wenn sie jemanden grüßten, zumindest bildete ich mir das ein, und was ich mir einbildete, das entsprach auch der Wahrheit, ob es nun stimmte oder nicht, zumindest für mich. Sie grüßten nicht, um nett zu sein. Sie führten immer irgendetwas im Schilde. Was eigentlich die meisten taten, die zu grüßen versuchten. Weshalb es sicher ganz in Ordnung war, dass die meisten mich nicht grüßten. Ich sah Intrigen und Angriffe aus dem Hinterhalt, wohin ich mich auch drehte und wendete. Ich sah Zeichen des Bösen, wo andere nichts anderes als eitel Friede und keine Gefahr sahen. Warum sah ich dann nicht die Zeichen in Iver Malt?
    Sie bildeten also eine Bande, waren bereits Gymnasiasten und hausten in den Ferienhäusern Richtung Oksval. Ein Jahr war seit dem letzten Mal vergangen. Damals bettelte ich darum, mit ihnen zusammen sein zu dürfen. Jetzt wollte ich auf keinen Fall etwas mit ihnen zu tun haben. Ich hoffte, sie würden mich nicht sehen.
    Doch sie sahen mich.
    »Hallo, Chaplin!«
    Ich kann es nicht ausstehen, Chaplin genannt zu werden. Und fragt mich nicht, woher ich ausgerechnet diesen Namen bekommen habe. Ich beschloss indessen, diese nichtsnutzige Bande einfach zu übersehen, drehte mich aber dennoch zu ihnen um. Sie schienen noch großspuriger geworden zu sein als im Jahr zuvor, trugen einen Kasten Bier zwischen sich, Typen mit langen Haaren im Nacken, schmalen Gesichtern und Bügelfalte. Doch hinter ihnen liefen zwei Mädchen. Von der einen wusste ich nur zu gut, wie sie hieß, nämlich Lisbeth, die Tochter des Amtsrichters oder was er nun noch war, zumindest war er irgendjemand im Gerichtssaal, wo man die Leute am laufenden Band verurteilte, und die Familie besaß also ein Ferienhaus hier draußen. Auch Lisbeth hatte sich verändert. Ich konnte nicht genau sagen, was sie anders machte, fast fremd, wahrscheinlich lag es an ihrem Blick, der ihr Gesicht so hart erscheinen ließ. Aber es war eigentlich das andere Mädchen, das mir auffiel. Und wie sie mir auffiel. So sehr, dass ich Lisbeth eigentlich so gut wie gar nicht bemerkte. Ich hatte das Mädchen noch nie zuvor gesehen. Aber ich hätte sie gern wiedergesehen.
    »Hallo, Chaplin!«, wiederholte Putte. »Alles klar?«
    »Hallo«, murmelte ich.
    »Spielst du mit den Eingeborenen?«
    »Ich angle.«
    Sie lachten über irgendetwas, die Mädchen auch, sicher über die Konservendose, über mich, über Malt und den Kinderwagen, über den ganzen Mist. Ich schaute

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