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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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herumliefen und auf den festgetretenen, kargen Boden einhackten, als könnten sie hier etwas zu fressen finden. Da entdeckte ich ein Gewehr, das auf einem Holzstapel gleich neben mir lag. Ich weiß nicht, was mich trieb. Vielleicht lag es daran, dass ich noch nie zuvor eine Waffe in der Hand gehabt hatte. Vielleicht weil ich mich so schwer beherrschen kann, wenn ich mir erst einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, wie man so sagt. Ich will auch nicht abstreiten, dass es an nur mangelhaft entwickelten geistigen Fähigkeiten liegen kann oder dass ich ganz einfach dumm im Kopf war. Auf jeden Fall legte ich die Dose auf den Boden, nahm das Gewehr, legte an und zielte auf Iver Malt. Ich hatte ihn direkt im Visier. Das Gewehr war schwerer, als ich erwartet hatte. Der Kolben war glatt und gleichzeitig klebrig. Der Abzug juckte mir am Finger. Iver Malt schaute plötzlich auf, als würde er erst jetzt bemerken, was sich da zusammenbraute. Er ließ das Buch auf den Schoß fallen und reckte die Hände in die Luft. Einen Moment lang schien er ungläubig und erschrocken. In dem Moment spürte ich eine Hand auf der Schulter und jemanden, der mir schwer in den Nacken pustete.
    »Gib mir das Gewehr, Junge. Ganz ruhig.«
    Ich senkte den Lauf und wurde augenblicklich umgedreht. Es war Ivers Vater. Er war nüchtern, jedenfalls nicht besoffen. Sein Gesicht war fast sanft, dunkel und sanft. Er nahm das Gewehr, wobei er die ganze Zeit meinen Blick festhielt. Iver blieb auf dem Campingstuhl sitzen. Ich hatte keine Ahnung, was geschehen sollte.
    »Pass jetzt gut auf«, sagte der Vater.
    Er zielte auf eines der Hühner und drückte ab. Der Knall war so heftig, dass ich für die nächsten Minuten taub war. Das Huhn war kein Huhn mehr, nur noch ein Bündel blutiger Federn, das über einige Meter weit verstreut war. Da bekam ich das große Zittern. Mein Mund wurde trocken wie ein Radiergummi. Die Tränen trockneten ein und legten sich wie Sand hinter die Augenlider. Mein Herz war ein rasendes Metronom. So nahe war ich dem Tod noch nie gewesen.
    »Ich wusste nicht, dass es geladen war«, murmelte ich.
    »Aber du hast nicht gewusst, dass es nicht geladen war?«
    »Nein.«
    »Ein Gewehr ist immer geladen. Bis das Gegenteil bewiesen ist.«
    Ivers Vater brach es auf, ging seines Wegs und verschwand hinter der Baracke. Bald war das Geräusch von Metall wieder zu hören, ein schwerer, dunkler Klang. Ich drehte mich zu Iver um, der immer noch auf dem niedrigen Campingstuhl saß, jetzt mit einem breiten Grinsen.
    »Hallo Chaplin.«
    »Oh Scheiße. Verdammte Scheiße.«
    »Bist du hergekommen, um mich zu erschießen?«
    Ich konnte kaum klar reden.
    »Um die Dose zurückzugeben.«
    »Warum das denn?«
    »Du hast sie gestern vergessen.«
    »Sie gehört dir.«
    »Mir? Warum denn?«
    »Weil du sie von mir gekriegt hast.«
    »Ich habe sie mir nur geliehen.«
    »Du hast sie gekriegt. Ich habe sie dir geschenkt. Erinnerst du dich nicht mehr dran?«
    »Aber dein Name steht drauf.«
    »Ja und? Du kannst ihn ja abkratzen.«
    »Und wenn ich sie gar nicht haben will?«
    Iver zuckte mit den Schultern.
    »Dann kannste sie wegschmeißen. Mach damit, was du willst. Sie gehört dir.«
    Ich wurde wütend. Jetzt konnte ich die Angst endlich herauslassen, dazu brauchte ich nur den Mund aufzumachen. Es war herrlich, Iver Malt vor sich zu haben, auf ihn wütend sein zu können. Mir fiel ein, dass er fast der Einzige war, der nichts zu meinem Fuß gesagt hatte, und das machte mich noch wütender, er hätte doch zumindest fragen können.
    »Warum hast du mir eigentlich diese blöde Dose geschenkt?«
    »Weil du mir den Kinderwagen geschenkt hast.«
    »Habe ich nicht.«
    »Das war dein Fang. Also gehörte der Kinderwagen dir. Und du hast ihn mir gegeben. Und jetzt gehört er mir. Ganz einfach.«
    »Glaubst du etwa, ich will diese stinkende Dose haben? Hä? Und nenn mich nicht Chaplin!«
    Iver leckte sich die Finger, blätterte in seinem Buch weiter und bekam eine tiefe Falte auf der Stirn. Er ärgerte mich. Er ärgerte mich ganz gewaltig. Der Ärger juckte im ganzen Körper. Mein Rücken war voller Sandpapier. Hätte ich es doch nur geschafft, ihn zu erschießen. Plötzlich fing er an zu lachen. Er saß da, wippte auf seinem klapprigen Campingstuhl hin und her und lachte aus vollem Halse. War das Buch so unglaublich lustig, dass er gar nicht mehr aufhören konnte zu lachen?
    »Du hast vielleicht blöd aus der Wäsche geguckt, als es geknallt hat!«, sagte er.
    »Du hast auch

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