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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Mutter, schön sang? Dass ich ihr heimlich zuhörte? Dass ihre Lieder beruhigend auf mich wirkten, dass ich ihr Repertoire liebte, denn diese Lieder trugen die Botschaft einer Leichtigkeit, einer Direktheit, die zu schätzen ich schon früh gelernt hatte, weil mir diese Leichtigkeit fehlte, in mir wurde alles nach unten gezogen oder zeigte geradewegs nach oben. Ihre Lieder gaben mir Trost, Freude, Schlaf, eine akustische Melancholie. Ihre Lieder hatten ihre Jahreszeit. Ich wusste, der Frühling war gekommen, wenn sie Blue Skies sang. Und ebenso wusste ich, dass etwas nicht stimmte, wenn sie nicht sang. Warum also fragte ich nicht nach, was denn nicht stimmte, wenn sie nicht sang? Warum schenkte ich ihr nicht meine Anerkennung und sagte ganz einfach, dass sie schön sang, so schön? Ich sagte es nicht. Stattdessen benutzte ich jede Gelegenheit, ihre Lieder zu verunglimpfen, sie hatten ja schon Moos angesetzt, sie konnte sie für sich behalten, die gehörten ins Altersheim, und noch Schlimmeres. Und was sagte meine Mutter dazu? So sind meine Lieder nun mal, sagte sie.
    So sind meine Lieder nun mal.

14
    H eidi kam nicht zu Besuch, und schließlich begriff ich, der Versager, der ich natürlich war: Wenn der Mond nicht zu dir kommt, dann musst du ganz einfach zum Mond gehen, auch wenn das nicht ganz einfach ist, denn ich hatte meine Flagge ja noch nie auf so einem Planeten gehisst, auf überhaupt keinem Planeten, wenn man ehrlich sein wollte, und das wollte ich. Ich saß in meiner Dachkammer, und es graute mir, das heißt, ich versuchte zu erdichten, wie es vor sich gehen sollte. Ich wollte den Träumen zuvorkommen. Die Träume, die der Nacht und dem Schlaf angehörten, sie waren unfreiwillig und unvollständig. Immer rutschten sie weg, wenn es so aussah, als würde es gut gehen. Mit der Dichtung war es etwas anderes, die wachen Träume, über die du vom ersten Moment an die Kontrolle hast statt in alle Richtungen geschickt zu werden. Auf jeden Fall sollte Heidi allein sein, wenn ich kam. Diese blöde Bande von Papasöhnen war bei Steilene auf Grund gelaufen, und Lisbeth war wegen Herumtreiberei festgenommen worden, saß nun im Frauengefängnis von Bredtveit und wartete auf ihr Todesurteil. Der Richter selbst war zum Nordkap gefahren, um dort Urteile zu fällen. Ich habe mich so nach dir gesehnt, sagt Heidi, als sie mir entgegenkommt. Ich auch. Warum hat es so lange gedauert? Das Gedicht, meine Liebe. Ich musste das Gedicht fertig schreiben, vorher habe ich es nicht gewagt, dir in die Augen zu sehen. Lies es vor, mein Lieber. Lies es mir vor. Danach werde ich es dir vorlesen. Danach? Nach was? Ich habe Lust, vorher mit dir zu vögeln.
    Meine Parole: Alles im Kopf!
    Ich zog mir ein Hemd an, das seit der Auflösung der norwegisch-schwedischen Union ganz hinten im Schrank gehangen hatte, ließ die Turnschuhe stehen und riss ein paar Fäden in der Jeans los. Ich musste eine Uniform tragen, damit mich niemand mit diesen Schleimtypen der Dreierbande verwechselte.
    Mutter saß auf der Terrasse.
    »Willst du wirklich so losgehen?«
    »Warum nicht?«
    »Weil du aussiehst wie ein Landstreicher. Zumindest Schuhe könntest du wohl anziehen.«
    »Es ist das Beste, barfuß zu gehen. Sonst laufe ich Gefahr, vom Planeten zu fallen.«
    »Na, das bist du bestimmt schon vor langer Zeit. Versuchst du Iver nachzumachen?«
    Ich wurde stinkwütend. Ich hätte die ganze Markise in Stücke reißen können. Glaubten eigentlich alle, sogar meine eigene Mutter, dass ich nur eine Kopie war, eine Blaupause, ein lächerlicher Abdruck? Wenn sie nur wüssten, wie einzigartig ich war. Die sollten nur wissen, dass ein Gedicht von mir, das noch nie jemand vor mir geschrieben hatte, das auf der Welt nicht existiert hatte, bevor ich es niederschrieb, angenommen worden war. Dann wären sie in meinen Scharten gestolpert und nie wieder hochgekommen. Ich würde es ihnen zeigen. Früher oder später würde ich es ihnen zeigen.
    »Und du hättest ihm kein Geld geben sollen!«
    »Was ist denn so schlimm daran? Schließlich hat er uns einen Dienst erwiesen.«
    »Ja und?«
    »Du hättest selbst die Kiste hochtragen können. Wenn du nicht immer nur an dich denken würdest.«
    »Vielleicht denke ich ja gar nicht besonders viel an mich!«
    »Wohin willst du?«
    »Nirgends hin.«
    »Nirgends hin. Du meinst zu Iver Malt?«
    »Ich will nicht zu Iver Malt. Ich will nur ein bisschen Rad fahren. Ist das auch nicht in Ordnung?«
    »Ich dachte, wir könnten runtergehen, baden

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