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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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immer mit einem Minus enden würde, die roten Zahlen über dem Bett.
    »Dann war er doch ein eitler Fatzke«, sagte ich.
    Mutter musste schmunzeln.
    »Nun ja. Ein eitler Fatzke.«
    Da war noch jemand auf dem Foto, ein kleines Mädchen, das gerade mal über die Blumenkästen auf der Terrasse gucken konnte. Sie soll wahrscheinlich gar nicht mit aufs Bild. Sie ist nur neugierig und will sehen, was da vor sich geht. Sie will nichts versäumen. Sie trägt kurz geschnittenes Haar, einen Pony, einen Pagenschnitt, wie es wohl hieß, ihr Blick ist offen, entgegenkommend. Auch sie ist auf ihrem Platz, noch nicht fertig, aber auf ihrem Platz.
    »Das bin ich da«, sagte Mutter.
    Ist etwas aus ihr geworden? Ist ihr Leben in Erfüllung gegangen? War Mutter der Mensch, der zu werden das kleine Mädchen zwischen den Blumen auf der Terrasse sich erträumte? War Mutter diejenige, die ihr entgegenkam und ihre Wünsche erfüllte? Ich konnte es nicht wissen. Ich konnte nicht wissen, wovon sie träumte. Wenn man alles recht betrachtete, wusste ich wenig bis gar nichts von ihnen, weder von Mutter noch von dem kleinen Mädchen, das sie einmal war. Ich bin gezwungen zu raten. Alles andere wäre gelogen.
    »Wie alt bist du da?«, fragte ich.
    »Sieben Jahre und vier Monate.«
    »Daran kannst du dich noch so genau erinnern?«
    »Ich habe in dem Sommer schwimmen gelernt.«
    »Ich muss jetzt los«, sagte ich.
    Mutter schlug das Album zu.
    »Ich habe das nicht so gemeint, was ich gesagt habe.«
    »Was denn?«
    »Dass du nur an dich selbst denkst.«
    »Das macht doch nichts.«
    Vielleicht hatte sie ja trotz allem recht. Ich konnte es nicht ganz verwerfen. Ich hatte fast vergessen, dass Vater mit gebrochenem Bein in der Stadt im Krankenhaus lag und nicht hier war. Und dieser unsaubere, quälende Gedanke kam mir wieder, dass ich ein schlechter Mensch war, dass ich kein guter Mensch war. Ich musste mich konzentrieren, um gut zu sein. So etwas passierte nicht von allein, und ich nahm an, dass ein guter Mensch zu sein etwas ist, wozu man sich nicht bewusst entscheidet.
    »Hast du noch was von Vater gehört?«
    »Er muss sich ausruhen.«
    »Können wir ihn nicht besuchen?«
    »Mal sehen.«
    »Mal sehen? Wieso?«
    »Weil er Ruhe braucht.«
    Plötzlich lächelte Mutter und sah mich verschmitzt an.
    »Wie heißt denn das Mädchen?«
    »Welches Mädchen?«
    »Die Tanten haben da ein Mädchen erwähnt.«
    »Ja und?«
    »Ich frage nur, Chris. Du erzählst mir ja nichts mehr.«
    »Wie kann ich dir etwas erzählen, wenn es nichts zu erzählen gibt?«
    »Ich dachte, es wäre Lisbeth, auf die du ein Auge geworfen hast.«
    »Lisbeth? Da musst du neu denken.«
    »Na gut. Aber sei vorsichtig.«
    »Vorsichtig? Was meinst du damit?«
    »Wenn du Rad fährst. Du kommst so schnell ins Träumen. Und dann kann ein Unfall passieren.«
    Ich hatte eigentlich gar nichts dagegen, sollte ein Unfall passieren. Ich wurde ja sowieso nicht in Ruhe gelassen. Alles musste begutachtet werden. Alle Steine mussten ums Verrecken gedreht werden, und ich durfte dann bitte schön in ihrem ekligen Licht hervorkriechen. Es war nicht auszuhalten. Allein der Gedanke, dass man keine Geheimnisse haben durfte, war nicht zu ertragen. Ich dachte, und das war ein schwindelerregender, alles umfassender Gedanke, fast nicht zu ertragen, dass das Einzige, was in Ruhe gelassen wurde, das war, was ich schreiben wollte, das, was ich bisher noch nicht geschrieben hatte, das, was es noch nicht gab, aber was es irgendwann geben würde.
    Ich machte einen ausreichend langen Umweg mit dem Rad, um zur Ruhe zu kommen, was ich aber doch nicht tat, zum Schluss versteckte ich den Schrotthaufen hinter einigen Büschen und ging das letzte Stück zu Fuß. Lisbeth saß mit einem Krocketschläger und einem Bier im hohen Gras. Außerdem trug sie nur einen halben Bikini, ich meine, den unteren Teil. Also nicht besonders viel. Eher verschwindend wenig. Ich steckte die Hände in die Taschen und schlenderte ganz natürlich zu ihr, während ich in alle anderen Richtungen guckte, nur nicht auf ihre Brüste, die nicht besonders groß waren und auch nicht so, dass man ihnen große Aufmerksamkeit hätte schenken müssen, aber ich schenkte trotzdem jeder Brust gern Aufmerksamkeit, und sie musste schon lange ohne Oberteil gegangen sein, so viel war zumindest sicher, denn die Brüste waren genauso braun wie der Rest ihres Oberkörpers, und auch wie ihre Schenkel, wenn man den Blick dorthin senkte, etwas, das ich tat, weil ich nicht

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