Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman
anders konnte.
»Spielst du Krocket?«, fragte ich.
»Kluge Frage. Ich trinke Bier.«
»Das sehe ich. Und ab und zu spielst du Krocket?«
»Ungefähr in der Reihenfolge, ja. Du siehst ja schick aus heute. Hast du dich fein gemacht?«
»Nein, warum sollte ich? Hast du dich fein gemacht?«
»Wie du siehst. Ich habe mich verdammt wenig fein gemacht. Und du guckst verdammt scharf auf die Stellen, die fein zu machen ich nicht geschafft habe.«
»Ich dachte, du hast Hausarrest.«
»Ich bin frei. Wie du siehst. Frei wie ein Vogel.«
»Ja, das sehe ich. Aber kannst du fliegen?«
»Verdammt witzig, sich mit dir zu unterhalten. Aber kannst du noch mehr als nur quatschen?«
»Mit der Dose angeln.«
Lisbeth lachte, stand auf und trank Bier, während sie gleichzeitig mit einer aufdringlichen Klette anstieß, die in der Hollywoodschaukel angezählt lag, neben einer Katze, die es sich in den müden Sonnenstrahlen gut gehen ließ. Dann wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Lisbeth drehte sich zu mir um und lächelte kurz.
»Mit der Dose angeln. Ich dachte, du traust dich gar nicht mehr herzukommen.«
»Mich nicht trauen? Warum sollte ich nicht?«
»Na, jedenfalls hast du dir reichlich Zeit gelassen.«
»Wieso, ist es irgendwie eilig?«
»Natürlich ist es eilig, du Schlaumeier. Sie wartet unten am Badeschuppen.«
»Wer?«
»Wer? Bist du nur hergekommen, um mich anzustarren, Süßer?«
»Ich starre dich nicht an.«
»Wieso, meinst du, es gibt nichts, was es wert ist, anzustarren?«
»Doch, doch, es gibt jede Menge anzustarren.«
»Doch, doch? Das klingt aber richtig überzeugend. Du kannst es doch bestimmt besser, du Dichter. Versuch es mal, mir zuliebe.«
Lisbeth trat einen Schritt näher und präsentierte sich, ihre Brüste, schamlos und scheu zugleich. Ich zog mich etwas zurück, ich wollte da nicht reingezogen werden, was immer das auch war. Hatte sie mich gerade einen Dichter genannt?
»Sind deine Eltern nicht da?«
»Nein. Wieso? Die sind gestern abgefahren. Hast du etwas verbrochen? Brauchst du vielleicht ein Urteil?«
»Eigentlich nicht. Ich habe genug an Gardinenpredigten gekriegt.«
»Oh Scheiße, Chaplin. Es wird immer witziger, sich mit dir zu unterhalten. Das müssen wir häufiger machen.«
»Mit dir auch. Hast du Badehaus gesagt?«
Lisbeth zeigte zum Fjord hinunter.
»Da entlang, Liebling. Wenn du die Füße im Wasser hast, bist du fast da.«
»Gut.«
»Und wenn du Algen im Mund hast, bist du zu weit gegangen.«
»Vielen Dank. Sehr nett von dir.«
»Keine Ursache, Süßer. Und benimm dich ordentlich, hörst du?«
Ich ging in die Richtung, in die Lisbeth gezeigt hatte. Plötzlich war der Wald zu Ende, die hohen Kiefern blieben zurück, und ich gelangte auf die Uferfelsen, dort blieb ich stehen. Ich hatte das Gefühl, von einer Welt in eine andere gegangen zu sein. Entfernungen gab es nicht mehr, nur in mir. In diesem Sommer gab es jeden Tag eine Tür, die zur Seite geschoben wurde, und ich hatte keine Wahl, ich musste weitergehen. Sie saß mit dem Rücken zu mir am Ende des kleinen Anlegers vor dem Badehaus. Ihr Haar war nass, es floss über die Schultern. Ich konnte die glänzenden Tropfen sehen, die auf der Haut klebten, und einen Moment schien es, als fröre sie, und sie zog sich ein gelbes Handtuch um den Leib. Kam die Kälte von mir? Spürte sie, dass ich hier stand und sie anstarrte? Ich ging näher heran und trat absichtlich auf ein paar Muschelschalen, um etwas Lärm zu machen. Ich wollte nicht zu überraschend ankommen. Schließlich drehte sie sich um und schien nicht besonders überrascht zu sein, dafür tat ich so, als wäre ich es.
»Na so was, hier sitzt du?«
»Sieht wohl so aus.«
»Ist das Wasser kalt?«
»Geht so.«
Ich setzte mich neben sie. Von hier aus konnten wir bis in die Stadt gucken. Wir konnten sogar die Glocken in den Rathaustürmen hören, so dicht waren wir dran, und das Geräusch wurde im Laufe der kurzen Zeit, die es bis zu uns hinaus brauchte, verzerrt und schief und klang zum Schluss wie Kuhschellen unter Wasser, nicht, dass ich schon so viele Kuhschellen unter Wasser gehört hatte, aber dieses Bild traf es am ehesten. Die gierigen Möwen säuberten ihre Schnäbel im Sonnenschein und meckerten über den Müll, der in dem grünen Ufergürtel schwamm, in dem ein Krebs auf dem Rücken lag und die Scheren in die Luft streckte. Am liebsten hätte ich das Handtuch genommen, das auf Heidis Schultern lag, die Gänsehaut abgetrocknet und es dabei
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