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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Mutter stand immer noch mit den Fäusten in den Seiten da und musterte uns.
    »Ihr braucht keine Sekunde lang zu glauben, dass ich nicht wütend auf euch bin«, sagte sie.
    Wir hatten nichts dazu zu sagen, außer den Mund zu halten.
    »Ihr könnt zumindest hinter euch aufräumen.«
    Ich guckte auf die Ameisen im Kies.
    »Ich werde aufräumen«, sagte ich.
    Mutter brachte mich dazu, meinen Blick wieder zu heben.
    » Ihr beide räumt auf! Und anschließend haben wir uns ein gutes Mittagessen verdient. Willst du mit uns essen, Iver?«
    Ich hoffte inständig, er würde dankend ablehnen. Sollte er stattdessen nicht lieber seine Cap suchen?
    »Ja«, antwortete Iver, » sehr gern.«
    Wir fegten die Farbsplitter zusammen, trugen die Leiter zurück zum Schuppen und ich verfluchte die Welt und alles, was sie mit sich brachte. Ich verabscheute es nicht nur, bei anderen zu essen, genauso schlimm war es, Fremde mit am Tisch zu haben. Meine Scharten wurden tief und schmutzig wie Schützengräben. Als wir mit Aufräumen fertig waren, war das Essen auch fertig. Wir wuschen uns die Hände und setzten uns auf die Terrasse. Mutter servierte Koteletts mit gebratenen Ananasscheiben darauf. Das war etwas Neues für Iver Malt. Es hätte mich nicht verwundert, wenn auch Messer und Gabel etwas Neues waren. Vielleicht wusste er auch nicht, wie man eine Serviette benutzen sollte. Ich schämte mich meiner Gedanken und dachte sie dennoch. Schlimmer war, dass ich nicht in der Lage war, mit ihm zu reden, solange Mutter dabei war. Iver dagegen war, dazu in der Lage, ich meine, mit Mutter zu reden, während ich dabei war. Und Mutter, sie konnte mit allen reden.
    »Sie sind nett«, sagte er.
    »Danke Iver. Das ist nett, dass du so etwas sagst.«
    Warum hatte ich das nie gesagt, dass meine Mutter nett war, dass sie nett und ich stolz auf sie war? Warum machten mich diese Worte so verlegen, dass ich sie in mir aufbewahrte, sie für mich aufbewahrte, dort, wo sie keinerlei Nutzen hatten? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass alles, was einfach zu sagen ist, genauso schwer herauszubringen ist. Und wenn es zu spät ist, fällt dir ein Satz nach dem anderen ein, den du hättest sagen sollen, aber nicht gesagt hast. Du bist nett, Mutter. Iver Malt musste erst kommen, um das zu sagen.
    »Wie ist es hier draußen im Winter?«, fragte Mutter.
    »Sehr ruhig.« Und er fügte hinzu, fast traurig, fast beschämt: »Wenn hier kein Lärm ist, meine ich.«
    Ich wünschte, Mutter hätte mehr gefragt, an was für eine Art von Lärm Iver Malt da dachte, aber sie stoppte hier. Und der Blick, den sie mir zuwarf, schnell zwischen einigen Happen, machte ganz deutlich, dass auch ich nicht weiterfragen sollte, etwas, was ich übrigens sowieso nicht vorgehabt hatte.
    Zum Nachtisch hatten wir Erdbeeren mit Sahne. Hinterher wollte Iver beim Abwaschen helfen. Was würde als Nächstes kommen? Das Haus beizen? Einen neuen Brunnen graben? Stachelbeeren pflücken? Zum Glück meinte Mutter, sie würde es schon allein schaffen, ich meine, abwaschen, aber zum Glück bedeutet nicht immer, dass man Glück hat, denn es bedeutete, dass ich allein mit Iver auf der Terrasse sitzen blieb und mir keinen Rat wusste.
    »Was für Lärm?«, fragte ich.
    Iver Malt schaute woandershin und nahm sich viel Zeit, bevor er sich mir zuwandte.
    »Jetzt bist du mit erzählen dran«, sagte er.
    »Was erzählen?«
    »Wie es gelaufen ist.«
    Ich, der wiederholte Idiot des Sommers, dachte, er meinte Heidi.
    »Geht so.«
    »Geht so? Was meinst du denn damit?«
    »Geht so«, wiederholte ich.
    Iver beugte sich über den Tisch, er guckte verwirrt und ungeduldig.
    »Was bedeutet ›Geht so‹?«
    Ich musste das hier ein für allemal abschließen. Ich musste Iver Malt abschließen.
    »Das geht dich verdammt noch mal gar nichts an«, sagte ich.
    Iver blieb eine ganze Weile schweigend sitzen und starrte mich an, wobei sich sein Blick eintrübte. Dann fing er plötzlich an zu lachen.
    »Du denkst, ich habe deine Freundin gemeint! Heidi! Das hast du geglaubt! Ich lach mich tot!«
    Ich wurde verlegen, schaute weg, auf den verdammten Fjord, die Hügel im Hintergrund und ein Flugzeug, das in Fornebu startete. Ich wäre gern an Bord der Maschine gewesen, ganz gleich, wohin sie auch flog. Und habe ich es nicht schon gesagt – das hier war der Sommer der Verlegenheit. Es lag am Mond. Der Mond machte uns dazu. Der Mond hat kein eigenes Licht. Er leiht es sich nur. Die Menschen wollten dem scheuen Mond seine Tugend nehmen, und

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