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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ganze Gesicht sah aus wie ein Wasserball mit roten Punkten. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Als würde ich mich über den Brunnen beugen und einem hässlichen Blick begegnen, einer kranken Erscheinung. Ich zog mich zurück, doch das nützte nichts. Ich war immer noch da. Wenn ich die Augen schloss und mit den Fingern tastete, schien es, als wäre das Gesicht voll mit Gebirgsketten, weichen Gebirgsketten. Es war meine innere Röte, die zum Vorschein gekommen war. Ich hatte es verdient. Einige tragen ein Wasserzeichen. Ich trug ein Brandzeichen. Ich würde mir nie wieder in die Augen sehen können. Ich würde mich nie wieder im Spiegel ansehen, niemals wieder würde ich mich im Spiegel ansehen, das versprach ich mir hoch und heilig, ich wiederholte es: nie wieder ein Spiegel!
    Ich wartete eine Weile, bis es auch in Mutter still geworden war.
    Dann ging ich hinunter.
    »Guck mich an«, sagte ich.
    Mutter schaute auf.
    »Was ist denn los?«
    »Siehst du das nicht? Was los ist?«
    Ich trat einen Schritt näher an sie heran. Die Sonne stand ruhig und blau über Kolsås. Das gelbe Notizbuch lag auf dem Tisch wie ein letzter, glühender Strahl, ein Punkt in dem Abend, in dem alles versinken konnte.
    »Ich kann mich niemandem mehr zeigen. Ich kann nicht mehr unter Leute gehen. Ich bin fertig.«
    »Red keinen Quatsch.«
    »Sind das Masern?«
    »Du hast schon Masern gehabt.«
    »Ich kann sie doch noch einmal kriegen. Bin ich, ohne es zu wissen, von einer gemeinen Wespe gestochen worden?«
    »Hat Tante Massa dir Johanniskraut gegeben?«
    »Ja.«
    »Wenn du dich sonnst, nachdem du Johanniskraut genommen hast, dann siehst du so aus.«
    »Geht das vorbei?«
    »Alles geht vorbei.«
    Ich ging hoch in mein Zimmer und blieb dort, bis es vorbeigegangen war. Aber es ging nicht vorbei. Es geht nur für dieses Mal vorbei.

15
    I ver Malt stand vor der Haustür, einen riesigen Eimer Farbe und einen Pinsel in der Hand.
    »Bist du krank gewesen?«
    »Wieso?«
    »Du siehst so aus.«
    Ich war sofort auf der Hut. »Seh ich so aus?«
    »Du bist so blass.«
    Es gefiel mir zu hören, dass ich blass war, neutral, dass ich unsichtbar wurde. Sofort war ich ihm freundlich gesinnt.
    »Was gibt’s?«
    »Der Fahnenmast.«
    »Was ist mit dem?«
    »Wir sollen ihn anstreichen.«
    »Wer sagt das?«
    Ich schaute mich um, konnte Mutter aber nicht entdecken. Fast alles war still. Selbst die Hummeln schliefen. Die Sonne war Viertel nach zwölf. Iver ging zum Fahnenmast.
    »Beeil dich«, rief er. »Dann sind wir fertig, bevor deine Mutter zurück ist.«
    »Weißt du, wo sie ist?«
    »Ich habe sie auf dem Weg nach Pynten gesehen. Wohnt da nicht diese Klatschtante? Die mit dem Telefon? Bestimmt will sie deinen Vater anrufen.«
    Das war wohl der Moment, wo ich Iver Malt überdrüssig wurde. Er umkreiste mich. Er wusste mehr als ich. Ich war ihm nicht mehr freundlich gesonnen. Ich musste ihn loswerden.
    »Ich bin fertig mit Moby Dick «, log ich.
    Iver ging weiter, ohne etwas zu sagen.
    »Willst du nicht hören, wer gewonnen hat?«
    »Hinterher. Dann habe ich etwas, worauf ich mich freuen kann.«
    Ich folgte Iver. Selbst hier, bei mir daheim, folgte ich ihm. Die Sonne fiel zwischen zwei Wolken. Das Licht war schwer. Er nahm seine Baseballcap ab und gab sie mir. Ich wurde wütend.
    »Was zum Teufel soll ich damit?«
    »Damit du nicht wieder einen Sonnenbrand kriegst.«
    Ich wurde noch wütender.
    »Glaubst du wirklich, ich laufe mit dieser Mütze rum? Mit Esso drauf?«
    »Warum nicht. Willst du nicht?«
    »Lieber werde ich gebraten, als mit der rumzulaufen.«
    »Wie du willst. Niemand zwingt dich, sie aufzusetzen.«
    »Die sieht einfach bescheuert und blöd aus.«
    Einen Moment lang schien Iver verblüfft zu sein.
    »Deshalb brauchst du doch nicht so wütend zu werden.«
    »Zum Ersten bin ich nicht wütend.«
    »Na gut, dann nicht.«
    »Und zum Zweiten hast du mich noch nie wütend gesehen.«
    Als ich diese Worte aussprach, hörte ich selbst, dass es nicht meine waren. Es waren Iver Malts Worte. Die Worte machten die Runde in diesem Sommer. Ich wollte meine eigenen Worte haben und nicht die anderer übernehmen. Iver setzte sich wieder seine Cap auf.
    »Mich auch nicht«, sagte er.
    Dann machten wir uns an den Fahnenmast. Zuerst mussten wir ihn senken, aber es klappte nicht. Die Befestigung war festgerostet. Äußerst erfreulich, denn so konnten wir unserer Wege gehen und es dabei belassen. Aber Iver schlug vor, er könnte auf die Spitze hochklettern und mit

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