Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
dennoch Angst machte.
    »Man kann nie wissen«, sagte sie.
    Den restlichen Abend suchte ich nach Ivers Baseballcap und fand sie schließlich in der Heide unten am Drahtzaun.

16
    E in Wirrwarr auf der Schreibmaschine! Sechs Tasten standen zusammen verhakt in einem Strauß toter Buchstaben. Ich versuchte sie voneinander zu lösen. Aber es nützte nichts. Ich versuchte sie voneinander loszureißen. Auch das nützte nichts. Es waren widerspenstige Blumen. Wann war das passiert? Keine Ahnung. War es Tante Soffen gewesen, die mit der Maschine gefummelt hatte, als sie hier saß? Oder war ich es selbst gewesen, war ich Amok gelaufen, während ich versuchte Moby Dick zu lesen und nicht wusste, was ich tat? Hatten die Tasten sich von allein in eine Ecke geschrieben, oder spielten sie mir nur einen Streich? Eigentlich war es auch gleich. Ich hämmerte auf die freien Buchstaben los, und zum Schluss saß nahezu das ganze Alphabet fest. Ich ging ins Bett und konnte nicht schlafen. Ich stand wieder auf, leerte den Papierkorb und versuchte Moby Dick wieder zusammenzusetzen. Auf Seite 38 mochte ich nicht mehr. Da fiel mir etwas ein. Ich habe eine ziemlich lange Leitung, aber wenn ich erst einmal in Fahrt gekommen bin, dann bin ich gar nicht so schlecht. Ich schlich mich hinunter ins Erdgeschoss, öffnete den Wäschekorb unter der Treppe, schnappte mir die Hefte darin, ging wieder hoch und verteilte sie auf dem Bett. Und tatsächlich, da fand ich Moby Dick von Herman Melville, unter den Illustrierten Klassikern, berühmte Bücher und Ereignisse auf neue, unterhaltsame Art und Weise. Jetzt brauchte ich nicht mehr als drei Minuten und acht Sekunden, um Moby Dick zu lesen. Ich schlingere dir entgegen, du alles zerstörender Wal. Bis zum Letzten kämpfe ich gegen dich, mit dem Höllenherz stoße ich auf dich ein, voller Hass zische ich meinen letzten Atemzug dir entgegen! Ich ging ins Bett und konnte schlafen.
    Am nächsten Morgen packte ich den kleinen Koffer, zurrte ihn auf dem Gepäckträger fest, setzte mir die Baseballcap auf und machte mich auf den Weg hinunter nach Signalen. Iver Malt saß auf seinem Campingstuhl, das letzte Huhn im Schoß, das Fernglas um den Hals.
    »Ich glaube, ich habe mich beim Schluss von Moby Dick geirrt«, sagte ich.
    »Bist du auch noch wortblind?«
    »Es geht unentschieden aus. Käpten Ahab hat auch gesiegt.«
    »Wie kannst du mir das erklären, Funder?«
    »Käpten Ahab hat sich selbst besiegt.«
    Iver hob das Fernglas und sah mich lange an.
    »Du hast recht«, sagte er.
    »Gut. Dann belassen wir es dabei.«
    »Du hast recht, das Käppi sieht wirklich bescheuert aus. Du kannst es gern behalten.«
    Ich riss mir die Kappe vom Kopf und warf sie Iver zu. Er ließ sie auf den Boden fallen.
    »Wollen wir zusammen die Mondlandung anhören?«
    »Ich habe eine andere Verabredung.«
    »Das hast du gestern auch gesagt.«
    »Was?«
    »Dass du eine andere Verabredung hast. Du hast immer eine andere Verabredung.«
    »Ja und?«
    »Aber jetzt bist du trotzdem hier. Willst du verreisen?«
    »Nein. Wieso?«
    Iver zeigte lachend auf meinen Koffer.
    »Mit dem wirst du jedenfalls nicht weit kommen.«
    »Eigentlich bin ich deshalb hergekommen«, sagte ich. »Das muss repariert werden.«
    Iver stand auf, legte das Fernglas auf den Campingstuhl und warf das Huhn über die Wäscheleine.
    »Komm«, sagte er.
    Ich folgte ihm hinter die Baracke. Dort lag ein schmaler Acker mit Rüben, Kartoffeln und Karotten, und dahinter befand sich der Schuppen, in dem sein Vater seine Werkstatt hatte. Wir gingen hinein. Wenn man erst einmal drinnen war, erschien der schiefe Raum viel größer, als man vorher geglaubt hatte, als dehnte er sich aus, wie eine Kirche, dachte ich, und hätte ich noch Ivers Baseballcap aufgehabt, ich hätte sie wahrscheinlich schnell abgenommen. Überall hing Werkzeug, Schraubendreher, Messer, Metallsägen, Kneifzangen, Hammer, Schneidbrenner und diverse andere Sachen, von denen ich weder den Namen wusste noch, wozu sie zu gebrauchen waren. Ich wusste kaum, dass es so viel verschiedene Werkzeuge gab. Hier wurden Fahrradlenker zu Kerzenständern. Hier wurden Motorhauben zu Fässern und Waschkübeln. Hier wurden Kinderwagen zu Kleiderbügeln und Radkappen zu Töpfen. Alles, was hier hereinkam, kam als etwas anderes wieder heraus. Und was übrig blieb, das wurde zu Blinkern. Sie hingen an einer Schnur zwischen Tür und Fenster, sicher dreißig Stück, vielleicht noch mehr, alle in verschiedenen Farben und Formen. Iver

Weitere Kostenlose Bücher