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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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trat näher an sie heran und zeigte auf sie.
    »Der ist am besten für den Wittling. Der hier für den Dorsch. Und wenn du Makrelen haben willst, musst du diesen glänzenden Teufel nehmen. Der ist ziemlich gerissen.«
    »Ist das dein anderes Geheimnis?«, fragte ich.
    »Das ist doch nicht geheim, du Schwachkopf. Alle wissen, dass Vater die besten Blinker macht. Nicht wahr, Vater?«
    Erst da entdeckte ich Ivers Vater. Er saß auf einem Hocker in der Ecke und verschmolz fast mit den Wänden, so viele Werkzeuge und Eisen hatte er im Gürtel und in den Taschen seiner langen Lederschürze. Er pustete auf den Gewehrschaft und nahm sich die Zeit, die er brauchte, bevor er ihn an die Wand hängte und sich zu uns umdrehte.
    »Kannst du Funders Koffer reparieren?«, fragte Iver.
    »Dann muss ich ihn mir erst mal angucken.«
    »Eigentlich geht es nicht um den Koffer«, murmelte ich.
    Ich legte ihn auf die Werkbank und öffnete den Verschluss. Ivers Vater warf einen Blick hinein, während er sich die Hände abwischte.
    »Oh je. Was hast du denn auf diesem netten Kerl geschrieben?«
    »Funder schreibt Gedichte«, sagte Iver. »Stimmt doch, Funder, oder?«
    Ich konnte kaum glauben, dass ich selbst es war, der sich in diese Misere hineingeritten hatte.
    »Kommt vor«, sagte ich.
    Der Vater knipste gegen die Tasten, beugte sich darüber und schaute sich das Problem näher an, bevor er eine kleine Zange und eine lange Ahle holte, die er vorsichtig in das Gewirr steckte, während er die Zange benutzte, um damit zu biegen. Ich hatte das Gefühl, als wäre meine Schreibmaschine wegen Verstopfung im Krankenhaus, und jetzt lag sie betäubt auf dem Operationstisch. Plötzlich falteten sich die verhakten Buchstaben auseinander und fielen an ihren Platz. Ich kann mich an den Anblick erinnern, der Strauß, der wieder zu Buchstaben wurde, die zur Ruhe kamen, und ich genoss ihn, ich genieße ihn immer noch, wenn auch mit einer gewissen Trauer, einer gewissen Wehmut und einer Art schlechtem Gewissen.
    »Jetzt sollte sie gut genug für ein oder zwei Gedichte sein«, sagte Ivers Vater.
    Ich verschloss den Koffer.
    »Danke schön.«
    »War mir ein Vergnügen.«
    Ich ging zur Tür. Iver blieb neben seinem Vater stehen.
    »Kann Funder zu uns kommen und die Mondlandung anhören?«, fragte er.
    »Ja. Das kann er sicher. Wenn er will.«
    Iver wurde ganz eifrig, begann hochzuhüpfen, wie er es häufiger tat.
    »Natürlich will er. Mutter kann ja Brot backen. Und Funder kann uns sein Gedicht vorlesen!«
    Ich drehte mich weg, denn ich mochte Ivers Blick nicht erwidern, hier war er nichts anderes als ein kleines Kind, ein kleiner, hoffnungsvoller Rotzbengel, der auf mich wartete. Ich ertrug es nicht.
    »Ich denke, er sollte selbst antworten, Iver«, sagte der Vater.
    Ich musste mich zu ihnen umdrehen. Was hätte ich denn anderes sagen sollen als zuzusagen, selbst wenn es das Letzte war, was ich wollte, Gedichte vorlesen und selbst gebackenes Brot essen, ganz gleich, wie gut es auch war, während sie auf dem Mond landeten. Aber es war nun einmal so, dass Iver mir leid tat, und das war ein ekliges Gefühl.
    »Natürlich will ich. Vielen Dank.«
    Iver legte mir den Arm auf die Schulter, und wir gingen hinaus.
    »Komm«, sagte er. Ich folgte ihm wieder, dieses Mal zu der schrägen Klappe über dem, was ein Erdkeller sein musste. Sie war mit einem kräftigen Riegel verschlossen.
    Iver schaute sich schnell um.
    »Jetzt pass auf«, flüsterte er.
    Er klopfte auf die Klappe. Es dauerte nicht lange, bevor ich Geräusche von der anderen Seite hörte, fremd und fern. Iver ließ mich nicht aus den Augen, während das vor sich ging. Er wirkte fast stolz. Dann wurde es da drinnen wieder still, oder besser gesagt da unten. Iver wartete kurz, zog mich noch näher und schlug erneut mit der Faust auf die Klappe. Ich hörte wieder die Geräusche, Grunzen, Heulen, Jammern, ängstliche Geräusche, und am liebsten wäre ich ihnen aus dem Weg gegangen, abgehauen, aber ich blieb stehen und lauschte. Ich fing auch an zu flüstern, als hätte ich Angst, dass eine böse Kraft freigelassen würde, wenn wir zu laut sprachen.
    »Was ist das, Iver?«
    Wieder schaute Iver mich an, lächelte, so hatte ich ihn noch nie gesehen. Er war ganz eifrig und gleichzeitig zurückhaltend. Er wollte es nicht sagen, konnte aber nicht anders.
    »Frag lieber, wer das ist.«
    »Wer?«
    »Ja. Frag, wer das ist.«
    »Wer ist das?«
    Iver holte tief Luft.
    »Mein Bruder.«
    Ich habe keine Ahnung, wie lange

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