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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ich konnte es schreiben. Dann würde niemand glauben, dass es wahr ist, sondern nur etwas, das ich mir ausgedacht hatte. Ich war bereits eine Bibliothek, aber die Bücher waren noch nicht geschrieben. Ich war eine ganze Bibliothek aus weißen Seiten. Dann stieß ich unten in der Mulde auf meine Mutter. Sie kam von Hornstranden. Über dem Arm trug sie einen Korb mit den Badesachen. Sie blieb stehen und schaute auf den kleinen Koffer in meiner Hand.
    »Wo bist du gewesen?«
    »Bei Iver.«
    »Mit der Schreibmaschine?«
    »Sein Vater hat sie repariert. Die Tasten hatten sich verhakt.«
    »Aber er hatte hoffentlich nicht getrunken?«
    »Nein. Er war nett.«
    »Na gut.«
    Wir blieben in der Mulde stehen und kamen irgendwie nicht weiter. Da war noch etwas.
    »Stimmt es, dass Iver einen Bruder hat?«, fragte ich.
    »So wird es wohl sein.«
    »Wo ist er?«
    »Das geht uns nichts an.«
    Endlich gingen wir den letzten Hügel hinauf. Mutter wurde immer langsamer, bis sie ganz stehen blieb. Es schien geradezu, als lehnte sie sich gegen das Licht, und das Licht war das Einzige, was sie daran hinderte umzufallen.
    »Es ist nicht sicher, dass Vater es noch schafft, diesen Sommer herzukommen«, sagte sie.
    »Muss er im Krankenhaus bleiben?«
    Mutter nickte nur und schien sich in ihren eigenen Gedanken zu verlieren.
    »Übrigens habe ich Lisbeth getroffen. Bei den Briefkästen.«
    »Ach ja.«
    »Sie hat abgenommen.«
    »Abgenommen? Wie meinst du das?«
    »Sie sieht mitgenommen aus. Dabei war sie doch mal so süß.«
    Ich sagte nichts. Ich hatte es selbst gesehen. Lisbeth hatte etwas Wildes an sich, war irgendwie teilnahmslos und ungepflegt. Sie war seit dem letzten Jahr um mehrere Jahre gealtert. Ich ging weiter. Mutter kam mir nach und holte mich ein.
    »Ich hoffe, dass du in nichts verwickelt bist, was du später bereust«, sagte sie.
    »Warum sollte ich? Ich meine, etwas tun, was ich später bereue?«
    »Es geht so schnell.«
    »Was geht so schnell?«
    »Etwas zu tun, was man anschließend bereut.«
    »Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
    »Ich mache mir aber trotzdem Sorgen.«
    »Warum? Wenn es doch nichts gibt, worüber du dir Sorgen machen müsstest?«
    »Weil es meine Aufgabe ist, mir Sorgen zu machen.«
    Ich öffnete Mutter die Pforte, und plötzlich lächelte sie.
    »Außerdem hättest du nicht nach Signalen runtergehen müssen, um die Schreibmaschine reparieren zu lassen. Das hätte ich auch geschafft.«
    »Ja, ja, natürlich.«
    »Wenn du nur wüsstest«, sagte Mutter, und dann sagte sie nichts mehr.
    Nach dem Essen war es mein Job, beim Abwaschen abzutrocknen, und ich war nicht zu schlagen im Abtrocknen, ich trocknete schneller ab, als Mutter abwusch, so dass sie die ganze Zeit im Rückstand lag, und sie wusch ab, was das Zeug hielt, während sie sagte, ich solle es ordentlich machen, ordentlich abtrocknen, als wenn ich das nicht täte. Sie sagte übrigens meistens, dass ich es ordentlich machen solle, denn wenn man die Dinge nicht ordentlich machte, dann musste man früher oder später dafür büßen, aber was ich eigentlich sagen wollte, war, dass Mutter, nachdem wir Mittag gegessen, abgewaschen, abgetrocknet und alles an seinen Platz gestellt hatten, Scrabble spielen wollte. Ich für meinen Teil hätte mich am liebsten leise zurückgezogen und mit dem Gedicht weitergemacht, das immer noch nur aus dem Titel bestand. So langsam eilte es. Aber ich wollte Mutter auch nicht enttäuschen. So gesehen war ich ziemlich nett, auch wenn es so weit es nur ging unter meiner Würde lag, die Sprache auf diese Art und Weise zu benutzen, dazu wäre es schon nötig, ein Gedicht in »Kvinner og Klær« gedruckt zu haben, ich meine, kleine Holzteilchen mit Buchstaben drauf zusammenzusetzen, das ist nicht gerade mein Stil. Insgeheim seufzte ich tief und sagte, na gut, wenn du unbedingt Scrabble spielen willst, dann seufzte ich noch einmal, nur um sicher zu sein, dass Mutter auch mitbekam, dass ich das allergnädigst nur ihr zuliebe tat, da sie ja niemanden sonst in ihrer Nähe hatte, mit dem sie hätte spielen können. Aber wenn wir schon einmal dabei waren, dann wollte ich ihr schon zeigen, wer Herr über die Buchstaben war, ob sie nun aus Tinte, Holz, Sand oder Blei geformt waren.
    Wir setzten uns auf die Terrasse, bauten das Spiel auf und fingen an. Nun braucht niemand zu glauben, dass ich heute noch herumlaufe und mich an die Worte erinnere, die wir legten, dazu gibt es ganz einfach keinen Platz in meinem Schädel, der

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