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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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auf der Terrasse in einem Sommerhaus, das es nicht mehr gibt, während der Fjord seine Farbe änderte und die Hügelketten auf der anderen Fjordseite aussahen wie der Rücken eines riesigen Wasserbüffels, der sich irgendwo zwischen Drammen und Fornebu verlaufen hatte. Ich packte das Spiel zusammen und legte das Alphabet an Ort und Stelle. Ich hätte genauso gut auch gleich den Rest der Sprache einpacken können. Jetzt musste ich etwas Schlaues sagen. Doch es fiel mir nichts Schlaues ein, was ich hätte sagen können. Ich bin, wie gesagt, am besten im Reden, wenn ich allein bin. Das dauerte und dauerte. Heidi saß da und schaute mich an. Ich versuchte sie anzusehen. Aber so ungefähr jede zweite Sekunde musste ich entweder in den Himmel schauen oder woandershin. So saß da beispielsweise eine Elster auf dem Telefonkabel hinten an der Pforte, und es war ungemein interessant herauszufinden, was sie vorhatte. Da flog sie auf, na so etwas. Hast du das gesehen. Ich wandte meinen Blick wieder Heidi Alm zu. Sie hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Sie war so schön. Es gab nicht ein einziges Stück an ihr, das nicht schön war. Die Nasenwurzel war schön. Die Ohrläppchen waren schön. Die Augenbrauen waren schön. Die Mundwinkel waren schön. Der Adamsapfel und die Achseln waren schön. Selbst die Ellenbogen waren schön. Gerade für die Ellenbogen hätte ich sterben können. Das hätte ich ja sagen können, einfach sagen, wie es war, dass ich für ihre Ellenbogen hätte sterben können. Es war nur unglaublich, wie lange es dauerte, so ein paar Brote zu schmieren. Doch bevor ich etwas sagen konnte, sagte Heidi erst einmal etwas.
    »Bist du mit dem Gedicht weitergekommen?«
    »Ich warte.«
    »Worauf?«
    »Auf das Gedicht.«
    Heidi legte den Kopf schräg, gegen eine Hand gelehnt.
    »Vielleicht ist es ja umgekehrt.«
    »Was ist umgekehrt?«
    »Dass das Gedicht auf dich wartet.«
    »Schon möglich.«
    »Und das Gedicht wird langsam ziemlich ungeduldig.«
    »Wenn du meinst.«
    Dann kam Mutter endlich zurück, bevor das Gespräch ganz den Bach hinunterging. Sie ließ uns in Ruhe essen, konnte aber nicht umhin, vorher einen Blick in meine Richtung zu werfen, der etwas in der Art bedeutete, dass ich mich ordentlich aufführen sollte, was immer das auch bedeuten konnte. Führte ich mich etwa nicht ordentlich auf? War ich vielleicht nicht geradezu exemplarisch? Auf jeden Fall vermieden wir es, mit vollem Mund zu reden. Das ist der einzige Vorteil, wenn man mit anderen zusammen isst. Das gilt übrigens auch für den Kuss. Während man küsst, kann man auch nicht reden. Plötzlich stand Heidi auf, sie hatte mit einem Mal keine Zeit mehr.
    »Ich muss los«, sagte sie. »Grüß deine Mutter.«
    Und damit ging sie. Ich sah sie in der Mulde verschwinden, weg war sie. Das hast du ja fein hingekriegt, dachte ich, richtig prima hast du das hingekriegt. Mutter schaute aus dem Wohnzimmer heraus.
    »Wo ist denn Heidi geblieben?«
    »Heidi Alm musste leider gehen.«
    »So schnell?«
    »Ich soll schön grüßen.«
    Mutter kam heraus und setzte sich zu mir.
    »Hast du etwas zu ihr gesagt?«
    »Ob ich etwas zu ihr gesagt habe?«
    »Ja, etwas, das ihr nicht gefallen hat. Weshalb sie gegangen ist.«
    »Was hätte das denn sein sollen? Ich habe nichts gesagt!«
    Mutter seufzte.
    »Du hättest sie ja zumindest nach Hause bringen können.«
    Das hätte ich zumindest, doch das hatte ich nicht. Ich hatte keinen Hunger mehr. Sollte Mutter doch die restlichen Scheiben selbst essen oder sie nach Biafra schicken. Ich ging in mein Zimmer hoch und kniete vor der Schreibmaschine. Es würde nie etwas aus mir werden. Hatte ich doch etwas gesagt? Hatte ich, ohne es zu wissen oder zu hören, das gesagt, was ich dachte, beispielsweise dass ich für ihre Ellenbogen sterben könnte? Oder hatte ich etwa versucht, ihr einen Kuss aufzuzwingen, einen Zungenkuss zwischen den Krümeln? Es war nicht auszuhalten. Was hatte ich gesagt? Was hatte ich getan? Ich rollte auf dem Fußboden herum. Ich schnappte mir einen Bogen Papier und schrieb mit der unsichtbaren Schrift des Zeigefingers, denn ich hatte ja sowieso nichts mehr zu verlieren: Früher oder später werde ich Heidi Alm küssen. Das schwöre ich! Neue Parole. Alles raus aus dem Kopf!

17
    I n den nächsten Tagen bekam ich Iver Malt nicht zu Gesicht, Heidi Alm übrigens auch nicht. Ich saß in meinem Zimmer und tat das, was ich eigentlich in erster Linie in diesem Sommer tat: Ich starrte auf meine Remington Portable mit

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