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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
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hingehen?“
    Sie zog die Nase kraus und schüttelte lächelnd den Kopf.
    Er hatte mit nichts anderem gerechnet, aber einen Versuch war es allemal wert gewesen, wo sie doch solche Fortschritte machten. „Geht mir genau so“, meinte er achselzuckend. Eigentlich passte ihm das alles ganz gut in den Kram. Es bedeutete, dass er ungestörter mit Lina zusammen sein konnte. Er gab ihr den Zettel zurück. „Kiden“, sagte er dabei versuchsweise zu ihr.
    Dabei kam er sich vor, als hätte er einen Zauberspruch aufgesagt, von dem er nicht genau wusste, ob und wie er funktionierte. Nun wartete er ab, was geschehen würde.
    Im Allgemeinen war Lina schweigsam, sogar zugeknöpft. Sie verzog kaum je eine Miene und bediente sich selten Gesten – jetzt aber schlug sie die Hände vor den Mund, in einer Mischung aus Überraschung und … ja, was? Freude? Schreck? Verwirrung?
    „He, alles klar?“, fragte Nick unbehaglich. „Habe ich was Falsches gesagt?“
    Sie nahm die Hände fort und schüttelte den Kopf. „Ion!“
    „Das soll sicher Nein heißen?“
    „Ej!“
    „Damit sind es vier.“
    Sie zog ein fragendes Gesicht.
    „Vier Worte, die ich von deiner Sprache kenne: Kiden heißt Danke. Ion bedeutet Nein. Und Ej wohl Ja.“
    „Ej!“ Sie machte eine ungeduldige Gebärde, forderte, er solle das vierte Wort preisgeben.
    „Und Bruder heißt Dirbralongszwol.“
    Zwei, drei Herzschläge hingen ihre Blicke aneinander.
    Dann verschränkte Lina die Arme vor der Brust.
    Nick blies langsam die Backen auf.
    Sie schüttelte den Kopf, ging einen Schritt rückwärts. – Hob jedoch eine Hand, von der sie Zeigefinger und Mittelfinger V-förmig ausgestreckt hielt: II. „Ion. Dir-bra-longs-zwol“, sagte sie laut und jede Silbe unterstreichend. Sie wiederholte es eindringlich, deutete auf die Finger.
    Und ihm war, als hebe sich rauschend ein Vorhang.
    Leise zischend lies Nick die Luft aus seinem Mund entweichen. Für eine Sekunde hatte es ausgesehen, als würde Lina sich wieder zurückziehen. Das war nicht geschehen. Im Gegenteil – sie hatte ihm geantwortet und ihm einen wichtigen Hinweis gegeben: Jan war nicht einfach nur ihr Bruder. Deshalb hatte er, Nick, mit seiner Deutung vollkommen danebengelegen.
    Er schaute auf Linas Finger.
    Dirbralongszwol bedeutete nicht Bruder.
    „Es heißt“, sagte er mit rauer Stimme, „Zwillingsbruder. Nicht wahr?“
    Das Mädchen nickte.
    „Ej. Dirbralongszwol.“
    Manchmal, wenn man nicht weiter weiß, kann es einem helfen, alltägliche Dinge zu tun. Banales. Routinemäßiges. Das jedenfalls behauptete Nicks Mutter. Daran hielt er jetzt fest: Frühstücken, Tisch abräumen, Geschirr in die Spülmaschine stellen und Lina Löcher in den Bauch fragen, allezeit in Sorge, dass es ihr zu viel wurde und sie wieder dichtmachte.
    Doch sie gab ihm die gewünschten Auskünfte wie aus der Pistole geschossen.
    „Was heißt Tasse?“
    „Sites.“
    „Sites also. Und Orangensaft?“
    „Eftsginrenu.“
    „O Mann. Efts … ginrenu?
    „Ej.“
    „Und Glas?“
    „Lesg.“
    „Lesg … Hilf mir den Tisch abräumen?“
    „Olfh orm ind Oscht minröaeb.“
    „Wir sind fertig?“
    „Orw onds togfir.“
    „Gitarre?“
    Ihr Lächeln blitzte zaghaft durch.
    „Ritergo.“
    Das klang vertraut. Ja, genau. Das hatte sie zu sich selbst im Mondzimmer gesagt, als sie an Paulas Saiten herumzupfte: Ritergo.
    Und so wurde Nick zum Schüler einer für ihn sehr seltsamen Geheimsprache. Es machte ihm Spaß, sich von Lina unterrichten zu lassen. Sie sah wunderhübsch aus, wenn sie unbefangen redete, und ihre Stimme hörte sich schön an.
    Seine Drachenohren glühten. Er meinte, sie müssten hell und rot wie Warnlichter sein. Falls es Lina auffiel, ließ sie sich nichts anmerken. Sie lieferte ihm weiter diese ihm unbekannten Vokabeln.
    Einige Brocken konnte Nick sich merken. Andere waren zu kompliziert und ebenso rasch aus seinem Hirn verschwunden, wie Lina ihm diese vorsprach.
    Ihm kam ein Einfall: Er wollte nachher mit ihr zu den grünen Felsen. Dort würde er ihr weitere Fragen stellen, sie ihm darauf antworten und dabei hätte sie ein klein wenig Ablenkung, was die Situation noch mehr auflockern mochte. Außerdem kam sie dann mal an die frische Luft. Und sie wären ganz allein, ohne dass jemand sie behelligte.
    „Lina?“
    „Ej?“
    „Ich möchte dir einen Ort zeigen, an dem ich gerne bin. Eine Stelle im Wald. Es ist einer meiner absoluten Lieblingsplätze. Ein Geheimversteck, wenn ich meine Ruhe haben will. – Was ist.

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