Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
Kiden.“
Sie hatte geantwortet! Shit, was für ein krasses Gefühl! War das geil, geil, geil! Am liebsten wäre er schreiend durch das Zimmer gehüpft.
Stattdessen riss er sich zusammen. „Ich zeige dir, wie es geht. Komm, steh auf. Dann ist es einfacher.“
Sie tat es.
Nick nahm die E-Gitarre. Er zeigte ihr, wie sie das Instrument richtig zu halten hatte.
„Kiden“, murmelte sie, als er es ihr in die Arme legte und er, er antwortete, ohne darüber nachzudenken: „Bitte.“ Er brachte ihr eine leicht nachzuspielende Tonfolge für Anfänger bei. Im Gegensatz zu ihm, legte sie das Plektron nicht beiseite, sondern benutzte das kleine, harte Nylonplättchen, um damit über die Saiten zu fahren.
Sie folgte seinen Anweisungen schweigend. Nick bemerkte jedoch, dass sie sich jede Berührung mit dem Instrument ganz genau überlegte. Und sie machte es gut!
Lina lächelte ihm zu. Es war haargenau das gleiche Lächeln, das er sich an ihr vorgestellt, das er sich von ihr gewünscht hatte. Er bekam Drachenohren.
„Kiden“, sagte sie noch einmal, als sie ihm die Gitarre zurückgab, um ihn zu verlassen. „Linvoi Enkd nda tiga Echtn.“ Sie ging hinaus. Vom Gang hörte er sie wispern: „Nick.“
Marion und Thomas kehrten spät zurück. Sie versuchten sorgsam laute Geräusche zu vermeiden, unterhielten sich leise und gedämpft. An ihren Versuchen, keine Aufmerksamkeit zu erregen und an Marions Glucksen erkannte Nick, dass sie angeheitert waren.
Er grinste in sich hinein und nahm sich vor, sich schlafend zu stellen, falls sie auf die Idee kamen, noch einmal hereinzuschauen.
Mucksmäuschenstill lag er in der Dunkelheit. Er ergab sich dem schnellen Pochen seines Herzens, sann über Lina nach, über das, was vorhin zwischen ihnen geschehen war. Das wollte er mit niemandem teilen.
Noch nicht.
War es möglich, dass Lina zufällig Zeugin des Gesprächs über seine Mutmaßungen geworden war, das er mit Marion und Thomas in der Diele geführt hatte?
Ja. Sicher. Es war möglich. Er vermutete sogar stark, dass es sich so verhielt.
Sie hatte ein Wort gesagt, als er ihr zeigte, wie sie mit der Gitarre umgehen musste, worauf er mit größter Selbstverständlichkeit „Bitte“ erwiderte. Aus diesem Dialog zog er seine Schlüsse.
Es war ein kurzes Wort. Zwei Silben. Nicht mehr. Nick hatte es sich eingeprägt.
Kiden, dachte er. Das hat sie dreimal gesagt. Kiden. Ich glaube, das heißt danke.
Linas letzte Gedanken vor dem Einschlafen
So unbegreiflich ich es finde, aber ich weiß, Nick mag mich! Und ich ihn. Irgendwas oder irgendwer hat ihn zu mir geführt. Warst du das, Jan? – Jedenfalls sollte es wohl so sein. Das glaube ich wirklich.
Nick besitzt viel Einfühlungsvermögen. Seit heute ist mir klar, dass er mich bald verstehen wird. Sehr bald – aber wird er auch Verständnis für mich haben?
So oder so, ich nehme an, dass es mir Erleichterung bringen wird, wenn ich rede, Jan. Deswegen gehe ich den nächsten Schritt in seine Richtung. Mit Nick komme ich mir vor, als würde ich allmählich aus einer Totenstarre erwachen. Zum ersten Mal gestorben bin ich mit vier.
Nicht wahr?
Das war, als es anfing.
Das Streicheln.
Im Gesicht. Auf dem Bauch. Über die Schenkel. Zwischen den Beinen.
Später folgten die richtig schlimmen Sachen. Die ekligen. Die, die wehtaten.
Aber damit ist es vorbei. Endgültig, Bruder.
Bire motde tso si biovur. Toggälind!
11
Zu Nicks Überraschung war Lina dabei den Frühstückstisch zu decken, als er ziemlich spät am Morgen in die Küche kam. Offenbar hatte sie beschlossen, ihm weiter entgegenzukommen. Weshalb, blieb ihm verschlossen. Vermutlich hatte es damit zu tun, dass sie gemeinsam Musik gemacht hatten. Das waren auch für ihn ganz besondere Momente der Nähe gewesen.
Doch ihre Beweggründe kamen ihm eigentlich nicht sonderlich bedeutsam vor. Viel wichtiger schien einzig, dass sie hier war. Er begrüßte Lina gut gelaunt und half ihr, die restlichen Sachen hinzustellen.
Lina nahm einen Zettel von der Anrichte, den sie an ihn weiterreichte. Eine Nachricht von Marion und Thomas. Sie waren zu ihren Freunden gefahren, um mit vereinten Kräften die Spuren des Gartenfestes vom Vorabend zu beseitigen. Danach wollte man sich bei einem gemütlichen Beisammensein die Reste des Grillbüffets gönnen. Falls sie Lust hätten, schrieb Marion, könnten sie gerne nachkommen.
„Hast du das gelesen?“, fragte er Lina.
Sie nickte.
„Und“, zog er sie gutmütig auf, „möchtest du
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