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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
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Kommst du mit?“
    Eine Weile herrschte schweigen.
    „Lina?“
    Ein eigenartiges Geräusch kam aus ihrem Mund. Sie erschien ihm schlagartig blasser. Als liefe flüssige Sahne statt Blut durch ihre Venen, die sich fliederfarben und ganz zart unter der hellen Haut abzeichneten. Als wäre ihr Gesicht aus feinstem Marmor gemeißelt.
    Sie wiederholte das Geräusch, heftiger diesmal.
    „Ist das ein Ja?“, fragte er sehr, sehr zaghaft.
    Leise, fast unverständlich: „Ej.“
    Ihr Tonfall klang wie der eines Menschen, der das Gegenteil von dem behauptete, was er meinte.
    „In Ordnung. Es kann losgehen.“ Nick, in Sorge, Lina könnte es sich anders überlegen, hatte in rasendem Tempo seine Turnschuhe angezogen. „Bist du soweit?“
    Statt einer Antwort kam Lina, nicht eben begeistert, näher. Sie durchquerten den Korridor, Lina bummelig wie ein Kleinkind. Vor der Haustür blieb Nick stehen. Er öffnete sie, ließ den blaugoldenen Sommertag in die schattige Diele platzen und trat zur Seite.
    Lina verharrte neben ihm.
    Er stupste sie nicht unsanft an. Mit einem Satz sprang er ins Freie und rief: „Mach schon! Worauf wartest du?“
    Doch das Mädchen rührte sich nicht vom Fleck, fixierte den Weg und den sich weiter hinten anschließenden Waldsaum, als könnte dort jeden Augenblick eine Mörderbande hervorbrechen.
    „Alles easy, Lina.“ Er nahm ihre Hand. „Hast du Angst? Das musst du nicht. Ehrlich! Es ist niemand hier. Außer uns.“ Er ging zu ihr und umschloss ihre eiskalten, steifen Finger mit seinen warmen.
    Lina ließ sich einige Schritte mitziehen, hielt inne, schaute zurück zur Haustür, die er zugezogen hatte. Sie sah aus, als wünschte sie sich dringend, hinter dieser Tür zu sein.
    Nick ignorierte es. Er zog sie mit sanfter Gewalt weiter, den Gartenweg hinunter, ein Stück die Landstraße entlang, die sich im gleißenden Sonnenlicht schlängelte wie ein staubiger Urzeitpython, bis sie sich in einem Forstweg auflöste.
    Ihm fiel auf, dass sie seine Hand zwar umklammert hielt, aber dennoch ein Schrittchen hinter ihm ging. Er schleifte sie quasi mit sich.
    Wenn er stehen blieb, tat sie es auch. Beschleunigte er seine Schritte, lief sie ebenfalls schneller. Ging er langsam, zockelte sie leicht versetzt hinter ihm mit.
    Doch ganz allmählich wurde sie gelassener. Ihre Hand lag nun lockerer in seiner. Lina wirkte nicht mehr ganz so verunsichert.
    Nach einer Viertelstunde erreichten sie die Schatten der Bäume, zehn Minuten später traten sie auf eine weite Rodung. Das mit Wildblumen durchsetzte Gras stand hoch. Es reichte ihnen fast bis an die Hüften. Eine Windböe fuhr mitten in die Wiese. Die Halme wogten wie ein grünes Meer.
    Nick rannte los. „Wettrennen!“, schrie er. „Wer als Erster in der Mitte ist, hat gewonnen!“ Er spurtete los, riskierte noch einen Blick über die Schulter.
    Sie folgte ihm, das honigblonde Haar tanzte um sie herum. Es war nicht genau wie in seiner Vorstellung. Das hohe Gras erschwerte ihnen das Vorwärtskommen und verlangsamte ihren Lauf.
    Nick musste Lina auch nicht knapp gewinnen lassen. Sie war eine großartige Läuferin, obwohl sie ein ganzes Stück kleiner war als er. Sie holte auf, zog an ihm vorbei, lief zur Mitte der Lichtung und am Ende war Nick froh, dass er nur knapp verlor.
    Lina hüpfte auf und ab, die Arme in Siegerpose empor gerissen, herumtanzend.
    Einen Augenblick lang beobachtete der verblüffte Nick Linas Treiben. Dann kicherte er. Leise. Lauter. Bis er lachte.
    Und Lina, Lina fiel in dieses Lachen ein, verlegen, als täte sie etwas Verbotenes.
    In diesem Augenblick leuchtete alles, wirklich alles, gleißend hell um Nick herum auf!
    Keuchend ließen sie sich auf den flachen Felsen fallen, der wie eine Insel zwischen den Halmen thronte und mit dickem Moos überzogen war: Nicks Ferienklippe.
    „Kein Wölkchen am Himmel“, stellte er fest, nicht ahnend, dass er sich wie sein Vater anhörte. „Nur Flugzeuge.“
    Sie beobachteten, wie sich die Flugbahnen zweier Flieger überschnitten. Ihre Kondensstreifen hinterließen ein weißes X. Es war noch da, als die Maschinen längst außer Sicht waren. Ein Zeichen am Himmel, eine markierte Stelle wie auf einer Schatzkarte. Als hätte jemand diesen Ort, an dem Nick und Lina abhingen, angekreuzt.
    Entspannt lagen sie auf dem Rücken und ließen in einvernehmlichem Schweigen die Sonne auf sich brennen. Sie setzten sich erst auf, als eine Propellermaschine sich behäbig näherte. Man hörte das entfernte Brummen des

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