Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
in den Sinn kam. Nur die Musik fiel ihm ein. Walk. Also sang er. Sang, dass er wieder lernt zu gehen. Wieder lernt zu reden. Dass er lang genug gewartet hat. Alles wieder neu lernt.
Sie schob ihn Zentimeter von sich. Berührte sein Gesicht, als wollte sie ganz sicher sein, dass er bei ihr war, lebendig. „Cho ugz esd Kinledibe unv ird Gisten“, hauchte sie.
Allein die Vorstellung, was sie sich noch von der Seele reden musste, war absolut angsteinflößend. Es schnürte ihm die Kehle zu. Er blendete es aus, so gut es eben ging, hörte weiter zu.
„Ich zog das Badelaken von der Stange und ließ es auf Jans Gesicht fallen. Sämtliche Handtücher riss ich von den Haken und aus den Schränken und warf sie über ihn, deckte ihn zu, damit ich ihn nicht mehr sehen musste.
Der Frottee saugte sich voll und lag schwer wie Schlamm auf Jan. Manni kam zurück. Er schlug mir ins Gesicht, als er es sah.
Dann saßen wir plötzlich in seinem Auto, fuhren los durch die Nacht. Jan lag im Kofferraum. In einem Kartoffelsack. Auf dem Weg zu den Schrebergärten ist uns keine Menschenseele begegnet.
Mannis Parzelle ist ringsum mit dichten Hecken bepflanzt, dadurch ist kaum was zu erkennen. „Das ist eine erstklassige Stelle“, meinte er. „Oder etwa nicht?“ Er holte einen Spaten, drückte ihn mir in die Hand. Dabei beobachtete er mich, als hätte er die Befürchtung, ich könnte damit auf ihn einschlagen. „Los, grab“, befahl er. „Fang an! Ein schönes, tiefes Loch, wenn ich bitten darf.“
Er begann ebenfalls zu graben. Er tat es ruhig. Methodisch. Irgendwie mit Leichtigkeit. Als würden wir einen Gartenteich ausheben.
Einmal griff er sich an die Brust, an die Stelle, an der Jan ihn gekratzt hatte. „Tut scheißweh, was das Rabenaas da gemacht hat.“ Er spuckte aus. Direkt auf den Kartoffelsack.
Da merkte ich, dass mir die Tränen kamen. Ich wischte sie mit dem Handrücken weg, um meine Gefühle vor dem Scheißkerl zu verbergen. Jan hätte nicht gewollt, dass ich sie Manni zeige.
Das hat er nie gewollt.
Manni grub weiter.
Ich auch.
Schließlich haben wir Jan … beerdigt. In Mannis Schrebergarten. In dem Loch, das ich mit ihm ausheben und wieder zuschaufeln musste.
Wir setzten die Erdbeerbüsche darauf, die Manni am Vortag aus der Gärtnerei mitgebracht hatte, in der er arbeitet. Ich habe nicht mitgezählt, wie viele es waren. Aber es kam mir so vor, als wären es Tausende gewesen.
Manche hatten weiße Blüten, andere trugen schon Früchte. Hellgrüne und auch rote Beeren. Es roch süß. – Mir wurde übel davon. Da standen die Erdbeerpflänzchen unschuldig im Mondlicht. Niemand wäre darauf gekommen, dass es Jans Grabblumen waren.
Am Tag darauf hat meine Mutter Jan als vermisst gemeldet. Manni behauptete, dass er Jan zuletzt gesehen hätte, als der am Abend vorher sein Fahrrad in die Garage bringen wollte. Er gab sich völlig geknickt und aufgeregt. Ja, er trommelte sogar einen Suchtrupp aus Bekannten und Nachbarn zusammen.
Und weißt du was? Als meine Mutter schrie, ich sollte gefälligst mit nach Jan suchen, da suchte ich mit! Ja. Ein Mensch kann auch funktionstüchtig sein, wenn seine Seele in Scherben liegt. Das Herz pumpt weiter, egal, wie weh es tut. Das Blut fließt, die Lunge atmet, die Muskeln und Sehnen bewegen deinen Körper. Obwohl mir alles nicht echt vorkam, sondern eher so, als würde ich in einem Theaterstück mitspielen.
Ich habe gesucht – und geschwiegen. Weißt du, die Wahrheit zu kennen und sie zu verschweigen, ist nichts anderes als zu lügen, Nick. Es ist genau wie eine große, schlimme Lüge … In Kellern habe ich nach Jan gesucht, hinter Hecken und in Gebüschen. Wie alle anderen auch.
Sogar ein Hubschrauber kreiste über dem Ort. Ich weiß noch, dass das Rattern der Rotorblätter mich ganz verrückt machte! Ich glaube, den Leuten vom Fernsehen ging es ähnlich, weil sie in die Mikros brüllen mussten.“
„Vom Fernsehen?“
„O ja. Da gab es schließlich einen verschwundenen Jungen: Glaub mir, solche Neuigkeiten machen im Handumdrehen die Runde. Rasend schnell. Auch bei uns dauerte es nicht lange. Ruckzuck tauchten erste Postings im Internet auf, alle paar Minuten gab es neues Gerede, andere Behauptungen, wilde Spekulationen.
Schon am Vormittag nach Jans Verschwinden rief der Lokalredakteur des Dorfblättchens bei uns an. Manni blaffte derart unfreundlich in den Hörer, dass er sofort wieder einhängte. Bis zum Mittag blieb das Telefon stumm. Aber etwa gegen ein, zwei Uhr
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