Der Sommerfaenger
Feuer hatte. Aber vielleicht war es seinen Eltern ja gelungen, den Hund zu retten.
Luke schaute sich um. Seine Eltern. Sie mussten doch hier sein. Und die Feuerwehr.
Wieso hatten die Eltern die Feuerwehr nicht verständigt?
In diesem Moment erblickte er seine Mutter am Schlafzimmerfenster. Hinter ihr erkannte er den Schatten seines Vaters. Und dann rollte ein Glutball über seine Eltern hinweg, sprengte das Fensterglas und brach fauchend hervor, als wollte er alles, auch Luke, verschlingen.
Jedes Mal musste Luke den Traum bis zum bitteren Ende träumen.
Jedes Mal.
Seit jener Nacht vor elf Jahren waren seine Eltern tausendmal gestorben.
Das ganze Haus hatte damals lichterloh gebrannt. Selbst der Himmel schien zu glühen , hatte ein Nachbar erzählt, der es beobachtet hatte. Alles war zu Asche zerfallen. Nur die Balken waren stehen geblieben, ein schwarzes Skelett, das nach Tod stank und in der Frühe noch dampfte.
Lukes Erinnerungen waren mit verbrannt. Der Schock hatte sie pulverisiert. Erst ganz allmählich waren sie zurückgekommen, doch nie konnte er sich ihrer völlig sicher sein.
Am Montagmorgen verließ Luke das Apartment, um in der Pension zu frühstücken. Durch die Gitterstufen der Alutreppe konnte er fünf, sechs Meter unter sich den Erdboden erkennen. Ihm wurde schwindlig und er hielt sich am Geländer fest.
Es hatte über Nacht abgekühlt, doch das Licht der Sonne war schon jetzt stechend und grell. Nicht mehr lange, und die vollen Blüten der Hortensien würden sich zusammenziehen, um sich vor der Hitze zu schützen. Die beiden dunkelgrünen Kugelakazien in dem kleinen Vorgarten warfen die ersten gelben Blätter ab. Die ausgedörrte Erde zu ihren Füßen lechzte nach Regen.
Der Traum steckte Luke noch in den Knochen, als er die paar Schritte zur Pension ging. Am Ende der Straße sah er die Müllabfuhr. Die beiden Männer in den orangefarbenen Trägerhosen wuchteten die schweren Abfalltonnen mühelos vom Gehsteig zum Wagen. Lärmend wurden sie hochgefahren, ausgeklopft und scheppernd wieder heruntergelassen.
Die Männer schleuderten sie fast auf den Gehsteig zurück. Ob sie umfielen oder stehen blieben, kümmerte sie nicht. Sie sprangen hinten auf den Trittbrettern auf, ein Pfiff und das Müllauto verschwand um die Ecke.
Die Stille, die folgte, war einen Moment lang sehr dicht. Dann wurde sie vom Warnruf eines Vogels unterbrochen, in den andere Vögel einstimmten. Die Katze, die den Aufruhr verursacht hatte, huschte lang gestreckt über die Straße und verschwand so schnell, wie sie aufgetaucht war.
Der Frühstücksraum war voller Sonnenlicht. An einem der beiden Tische beim Fenster saß eine Frau, die sich konzentriert mit ihrem Laptop beschäftigte, während sie gleichzeitig ein Brötchen verspeiste. Am zweiten unterhielten sich drei Männer über ein Bauprojekt, für das sie offenbar verantwortlich waren. Sie hatten ihre Sakkos über die Stuhllehnen gehängt. Unter den Armen des Wortführers breiteten sich auf dem gestreiften Blau des Hemds dunkle Schweißflecken aus.
Luke setzte sich an den Tisch, der noch frei war.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn eine aufgeräumte Wirtin, die, wie Luke inzwischen erfahren hatte, Frau Roosen hieß. »Haben Sie gut geschlafen?«
»Ja. Danke.«
»Dann lassen Sie es sich schmecken.«
Luke stand auf, um sich aus der bauchigen Kanne zu bedienen, die auf der Wärmeplatte einer Kaffeemaschine stand. Er hatte keine Lust auf eine Unterhaltung mit Frau Roosen und erst recht keine auf neugierige Fragen.
Das Frühstücksbüfett war reichhaltig. Luke füllte Rührei auf seinen Teller, nahm sich ein Brötchen, Orangensaft und eine Schale mit frischem Obst. Von seinem Platz aus hatte er die Fenster im Blick und konnte gleichzeitig aus den Augenwinkeln jede Bewegung bei der Tür erkennen. Nach den ersten Bissen entspannte er sich ein wenig.
Alles hier schien friedlich und still. Nichts sprach dagegen, ein paar Tage zu bleiben. Angst war kein guter Ratgeber und Luke war noch immer nicht ganz frei davon.
Er könnte in die Altstadt gehen, sich ein bisschen umschauen und einige Vorräte für den Kühlschrank in seinem Apartment besorgen. Vielleicht würde er dem kleinen Mädchen irgendwas mitbringen, Malstifte, ein Bilderbuch oder einen roten Luftballon. Er hatte Lust, so zu tun, als wäre dies ein normaler Montag und er ein normaler Urlauber, der bald wieder in sein normales Leben zurückkehren würde.
Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er soeben die letzte
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