Der Sommerfaenger
Fragen nicht denkbar.«
»Ich wusste nicht, dass wir über philosophische Themen diskutieren. Ich dachte, es ginge um deine Verstrickung in Frau Bergerhausens Tod, um Schuld und Sühne und …«
»Aber das ist ja Philosophie«, war Imke ihm ins Wort gefallen. »Sobald du ein Geschehen nicht als gegeben akzeptierst und beginnst, es infrage zu stellen, fängst du an zu philosophieren.«
»Du …«
Tilo hatte auf seine Uhr geschaut.
»Können wir uns später weiter darüber unterhalten? Ich muss los.«
So oder ähnlich liefen im Augenblick viele ihrer Gespräche ab. Imke wollte gar nicht, dass Tilo ihr mit seinen Argumenten die Last von den Schultern nahm. Sie war bereit, sie zu tragen, solange es richtig war. Sie wollte bloß in Ruhe mit ihm darüber reden.
Der Roman war nicht schlecht, aber er fesselte sie nicht wirklich. Imke klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. Sie trank einen Schluck Eistee, lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinterm Kopf und schloss die Augen.
Sie war gerade in einen wohligen Zustand von Schläfrigkeit geraten, als sie die Klingel hörte. Es passierte relativ selten, dass unangemeldet Besuch hereinschneite. Die alte Mühle lag zu einsam. Selbst vom Dorf war es noch ein strammer Fußmarsch bis hierher.
Vielleicht ein Paket, dachte Imke, denn sie erwartete die Belegexemplare ihres neuen Krimis. Oder der Bauer, der ihr Land gepachtet hatte, wollte sie wieder einmal um Erlaubnis bitten, in ihrem Garten nach einem Schaf zu suchen, das durch eine undichte Stelle im Zaun entwischt war.
Imke stand auf und ging zur Tür, ein unverbindliches Lächeln auf den Lippen.
Er stand da und sah ihr in die Augen, und für ein paar Sekunden setzte ihr Herzschlag aus. Ihr Mund wurde trocken. In ihren Handflächen sammelte sich Schweiß. Und während sie sich um Fassung bemühte, registrierte die Schriftstellerin in ihr jede einzelne dieser verräterischen Reaktionen.
Sie wünschte, Tilo wäre hier, um sie vor sich selbst zu schützen.
Dabei war sie halbwegs sicher. Der Kommissar hatte eine junge Frau mitgebracht. Imke war also nicht allein mit ihm.
»Das ist meine Kollegin«, erklärte er gerade.
Was hatte er sonst noch gesagt? Imke hatte nicht zugehört. Sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen.
»Tessa Wiefinger«, stellte die junge Frau sich vor und reichte ihr die Hand.
Imke führte die beiden auf die Terrasse und holte Gläser und die Karaffe mit dem Eistee aus der Küche. Allmählich hatte sie ihre Fassung zurückgewonnen. Sie schenkte ihnen ein und erkundigte sich nach dem Grund ihres Besuchs.
Tessa Wiefinger war Ende zwanzig, Anfang dreißig und besaß die Art von Schönheit, die sich erst in einem faszinierenden Zusammenspiel von Mimik und Gestik offenbart. Ihr Gesicht erinnerte Imke an die Bilder alter Meister. Die lebhaften dunklen Augen mit den goldenen Sprenkeln bildeten einen reizvollen Kontrast zu dem kinnlangen gebleichten Haar, das ursprünglich wahrscheinlich braun gewesen war, wenn nicht sogar schwarz.
»… und würden uns gern mit Ihnen unterhalten«, sagte der Kommissar.
Unterhalten? Worüber?
Imke hatte wieder nicht zugehört. Sie riss sich vom Anblick seiner Kollegin los und schaute den Kommissar erwartungsvoll an.
»Wie lange arbeitet Lukas Tadikken bereits für Sie?«
Luke. Natürlich.
Da hast du dich eigens versetzen lassen, um mir aus dem Weg zu gehen, dachte Imke, und Lukes Verschwinden hat dich wieder hierhergeführt.
Sofort schämte sie sich für diese Überlegung.
Was, wenn Luke etwas zugestoßen war?
»Ich habe ihn eingestellt … kurz bevor ich im Sauerland war, um … zu recherchieren.«
Er nickte.
Sie war nicht ins Sauerland gefahren, um für ihr Buch zu recherchieren. Sie hatte sich vor diesem Verrückten in Sicherheit gebracht, der sie verfolgt und bedroht, der Jette entführt und Frau Bergerhausen getötet hatte. Imke konnte noch immer nicht gut darüber reden.
»Ende März, Anfang April. Das genaue Datum kann ich Ihnen raussuchen.«
Wieder nickte er, wie um ihr zu signalisieren, dass er sie behutsam durch die Befragung lenken wollte. Der Blick seiner Kollegin war aufmerksam. Nichts schien ihm zu entgehen, und es ärgerte Imke, dass sie das verunsicherte.
»Welche Aufgaben erledigt er für Sie?«, fragte Tessa Wiefinger jetzt.
»Was so anfällt. Anfangs hat er meine Bücher katalogisiert, Ordnung in meine Rezensionen gebracht, den einen oder andern Brief beantwortet, und dabei hat er sich so gut angestellt,
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